Verfahrensgang

LG Bochum (Urteil vom 04.03.1993; Aktenzeichen 1 O 258/92)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 19.01.1999; Aktenzeichen 1 BvR 2161/94)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das 4. März 1993 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Beklagte mit weniger als 60.000,00 DM.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Tochter des am 22.12.1989 verstorbenen Erblassers …. Im Falle gesetzlicher Erbfolge wäre sie neben weiteren Halbgeschwistern gesetzliche Erbin geworden.

In einer notariellen Verhandlung vom 17. Juli 1992 setzte der Erblasser die Beklagte zur Erbin ein. Wegen der Einzelheiten der Verhandlung wird auf die Ablichtung der notariellen Urkunde … des Notars … (Bl. 6/7 d.A.) verwiesen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der Erblasser am 17. Juli 1982 infolge eines Schlaganfalls nicht mehr sprechen und nicht mehr schreiben konnte, daß er aber voll geschäftsfähig und testierfähig war.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Erbeinsetzung der Beklagten.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß die Beklagte aufgrund des notariellen Testaments vom 17.07.1982 (UR-Nr. … des Notars … in …) nicht alleinige Erbin nach dem am 22. Dezember 1989 in … verstorbenen Herrn … geworden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Die Beklagte hält ihre Erbeinsetzung nach wie vor für wirksam.

Sie beantragt,

in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die gegnerische Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Die notarielle Verhandlung vom 17. Juli 1992 beinhaltet kein wirksames notarielles Testament des Erblassers. Nach § 31 BeurkG kann ein Stummer ein notarielles Testament durch die Übergabe einer Schrift nur errichten, wenn er die schriftliche Erklärung abgibt, daß diese Schrift seinen letzten Willen enthält. Hierzu war der Erblasser nicht in der Lage, weil er nicht mehr schreiben konnte. Eine Beachtung der §§ 24, 25 BeurkG reicht für die Errichtung eines wirksamen notariellen Testaments nicht aus, weil diese Vorschriften durch die Spezialvorschrift des § 31 BeurkG verdrängt werden (Soergel/Harder, 12. Aufl., § 31 BeurkG Rdnr. 2 a.E.). Es ist gesetzliche Erbfolge eingetreten; die Klägerin ist Miterbin nach dem Tode ihres Vaters.

§ 31 BeurkG verstößt nicht gegen die Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.

Artikel 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet das Erbrecht und damit insbesondere die Testierfreiheit. Der Gesetzgeber kann die Testierfreiheit aber im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG ausgestalten und beschränken. Er muß dabei allerdings den grundlegenden Gehalt der verfassungsrechtlichen Gewährleistung wahren und sich in Einklang mit anderen Verfassungsnormen halten, insbesondere den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG beachten (BVerfGE 67, 329 ff, 340). Insoweit ist die Regelung des § 31 BeurkG aber nicht zu beanstanden, auch wenn sie dazu führt, daß jemand, der nicht sprechen und nicht schreiben kann, kein Testament errichten kann. Der abweichenden Auffassung von Rossak (MittBayNot 1991, 193 ff, 194/195) folgt der Senat nicht.

Die Formvorschriften für die Errichtung letztwilliger Verfügungen verfolgen allgemein den Zweck, voreiligen und unüberlegten Entscheidungen des Erblassers vorzubeugen (Soergel/Harder, 12. Aufl., vor § 2229 BGB Rdnr. 1). Die Vorschrift des § 31 BeurkG im besonderen will für den Fall, daß der Erblasser nicht sprechen kann, einen möglichst sicheren Beweis für die Abgabe seines letzten Willens gewährleisten; Irrtümer und Mißverständnisse sollen vermieden werden (MK-Burkhart, 2. Aufl., § 31 BeurkG Rdnr. 1). Insoweit sieht es das Gesetz als unerläßlich an, daß ein stummer Erblasser dadurch ein eindeutiges Bekenntnis zu der in einer übergebenen Schrift enthaltenen letztwilligen Verfügung abgibt, daß er eine entsprechende schriftliche Erklärung formuliert. Durch dies besondere Erfordernis wird dem Umstand Rechnung getragen, daß die Willenskundgabe eines Stummen einem besonderen Fehlerrisiko unterliegt. Daß § 31 BeurkG insoweit eine geeignete und erforderliche Regelung enthält, die nicht gegen das Übermaßverbot verstößt, ist nicht zweifelhaft.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist aber auch nicht dadurch verletzt, daß das Gesetz über § 31 BeurkG hinaus den Fall nicht besonders regelt, daß ein Stummer außerdem schreibunfähig ist. Jemand, der nicht sprechen und nicht schreiben kann, hat in einem Maße Schwierigkeiten, seinen Willen überhaupt zuverlässig kund zu tun, daß es gerechtfertigt erscheint, ihn von der Errichtung letztwillig...

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