Leitsatz (amtlich)

1. Art. 49 Abs. 1a) CISG findet auch auf die Nichtlieferung als wesentliche Vertragsverletzung Anwendung.

2. Die Grundsätze von Treu und Glauben – hier Verbot des widersprüchlichen Verhaltens – gelten auch im CISG.

3. Die bloße Überschreitung einer vereinbarten Lieferfrist stellt nicht eine wesentliche Vertragsverletzung im Sinne des Art. 49 Abs. 1a) CISG dar; allgemein kann die Nichteinhaltung der Lieferfrist nur dann eine wesentliche Vertragsverletzung begründen, wenn die genaue Einhaltung des Liefertermins für den Käufer von besonderem Interesse ist, und zwar so, dass der Käufer lieber überhaupt keine Lieferung als eine verspätete haben will, und dass dies für den Verkäufer bei Vertragsabschluss erkennbar ist.

4. Allein aus dem Umstand, dass der Kaufgegenstand (hier: Speichermodule) starken Preisschwankungen unterliegt, kann nicht abgeleitet werden, dass die Nichteinhaltung der Lieferfrist eine wesentliche Vertragsverletzung im Sinne des Art. 49 Abs. 1a) CISG darstellt.

5. Die Kosten der außerprozessualen Rechtsverfolgung sind gemäß Art. 74 CISG ersatzfähig, sofern es sich um sachlich gebotene Aufwendungen zur Rechtswahrnehmung handelt.

 

Normenkette

CISG Art. 49 Abs. 1a

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 11 O 46/00)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 15.12.2003; Aktenzeichen II ZR 358/01)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 27.3.2001 verkündete Urteil der II. Kammer für Handelssachen des LG Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten bleibt nachgelassen, jede Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Klägerin ihrerseits zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beiden Parteien bleibt nachgelassen, Sicherheit auch durch die unbedingte, unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Genossenschaftsbank zu leisten.

Das Urteil beschwert die Beklagte i.H.v. mehr als 60.000 DM.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung des Kaufpreises für gelieferte Speicherbausteine sowie auf Erstattung von Anwaltsgebühren in Anspruch.

Die Parteien handeln mit Computerbauteilen. Sie standen miteinander in Geschäftsbeziehungen.

Nach einem vorangegangenen Telefongespräch zwischen dem Geschäftsführer der Beklagten und dem Mitarbeiter C. der Klägerin vom selben Tage bestellte die Beklagte bei der Klägerin mit Telefax vom 3.1.2000, 12.08 Uhr, Ortszeit Hongkong 19.08 Uhr, mit dem Zusatz „bitte schnellstmöglich” je 1.000 Speichermodule zum Preis von 69 US-Dollar bzw. 138 US-Dollar pro Stück (Gesamtpreis 207.000 US-Dollar, Einzelheiten Anl. K1 zur Klageschrift).

Die Speichermodule wurden zum Tagespreis gehandelt und unterlagen großen Preisschwankungen.

Mit Telefax vom 4.1.2000, 19.28 Uhr Ortszeit Hongkong, erhielt die Klägerin eine Bestätigung des Kreditinstitutes der Beklagten, wonach an diesem Tag die Überweisung eines Geldbetrages zur Begleichung einer aus einer vorherigen Lieferung vom 28.12.1999 resultierenden Forderung der Klägerin gegen die Beklagte veranlasst worden war (Bl. 227 d.A.).

Die Klägerin führte die Bestellung aus, indem sie die gekaufte Ware an die in Hongkong ansässige Speditionsfirma N. Ltd. zur Bewirkung der Transporte an die Beklagte übergab. Die Ware und die Rechnung sowie die Frachtdokumente (Anl. K4 der Klageschrift) gingen bei der Beklagten am 7.1.2000 ein.

Am 7.1.2000, 17.17 Uhr Ortszeit Deutschland, übersandte die Beklagte der Klägerin per Telefax die Bestellung vom 3.1.2000, wobei „Bestellung bitte schnellstmöglich” durchgestrichen und das Schreiben mit dem Zusatz „cancelled” versehen war (Anl. K3 Klageschrift).

Die Beklagte sandte zudem die gelieferten Module an das Zolllager zurück.

Die nunmehrigen erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin forderten mit Schreiben vom 29.1.2000 (Anl. K5 der Klageschrift) die Beklagte zum Ausgleich des Rechnungsbetrages bis zum 4.2.2000 auf. Anschließend führten sie diesbezüglich im Auftrage der Klägerin telefonisch eine Besprechung mit dem Mitarbeiter B. der Beklagten und später mehrfache Besprechungen mit den zwischenzeitlich von der Beklagten mandatierten nunmehrigen erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Vertreten durch die Rechtsanwälte schlossen die Parteien am 16./17.2.2000 einen Zwischenvergleich dahin, dass die Beklagte die Ware entgegennehme, dafür zunächst einen Stückpreis von 39 bzw. 80 US-Dollar zahlen solle, wegen des Differenzbetrages zu dem in Rechnung gestellten Betrage sich die Parteien sodann noch auseinandersetzen würden (Einzelheiten Anl. K6 und 7 der Klageschrift). Aufgrund dieses Vergleichs zahlte die Beklagte am 6.3.2000 118.000 US-Dollar an die Klägerin.

Die Bevollmächtigten der Klägerin stellten dieser für ihre o.a. außergerichtlichen Tätigkeiten insgesamt Anwaltsgebühren von 5.385 DM in Rechnung; die Klägerin beglich die Gebührenforderung. Wegen der di...

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