Leitsatz (amtlich)
1. Sind bei einem Straßenradrennen an einer Kreuzung zur Regelung des Verkehrs "bei Bedarf" Polizeibeamte eingesetzt, die in der ersten Runde das Rennfeld vor dem an sich bevorrechtigten (Quer)Verkehr der übergeordneten Straße abgeschirmt haben, darf ein Rennteilnehmer auch dann in späteren Runden eine eben solche Regelung erwarten, wenn er außerhalb eines geschlossenen Feldes als Einzelfahrer den Kreuzungsbereich durchfahren will.
2. Umstände, die eine solche Erwartung in Frage stellen, können ein Mitverschulden des Rennteilnehmers an einem Unfall mit einem an sich bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer begründen.
3. Zur Einzel- und Gesamtabwägung im Falle der Nebentäterschaft von Unfallbeteiligtem und haftender Anstellungskörperschaft.
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Urteil vom 05.07.2007; Aktenzeichen 4 O 77/07) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das am 5.7.2007 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Arnsberg abgeändert und so neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 975,65 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.11.2006 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger zu 36 % und der Beklagte zu 64 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
A. Die Parteien streiten um Ersatz des hälftigen Schadens, den der Kläger am 12.2.2005 gegen 13:20 Uhr als Teilnehmer eines Fahrradrennens in X bei einem Zusammenstoß mit dem Pkw der Zeugin G erlitten hat. Er wirft den Polizeibeamten des beklagten Landes vor, die Unfallkreuzung I-Straße/N-Straße pflichtwidrig nicht durch Verkehrsregelung, insbesondere Vorfahrteinräumung für ihn als Rennteilnehmer, gesichert zu haben. Wegen des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz wird auf das angefochtene Urteil, mit dem das LG die zur Schadenshöhe (3.093,70 EUR einschließlich eines Schmerzensgeldes von 500 EUR) unstreitige Klageforderung abgewiesen hat, einschließlich seiner Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag weiter. Er hält an seinem Vorbringen fest und rügt, das LG habe die Pflicht der Polizeibeamten zur Verkehrsregelung an der Unfallkreuzung in der gegebenen Situation verkannt. Diese Pflicht sei besonders dadurch begründet gewesen, dass die Beamten die Rennstrecke an der Kreuzung während der vorhergehenden Passagen des Rennfeldes gegen die vorfahrtberechtigte Straße abgeschirmt hätten. Sein Vertrauen darauf sei auch durch die Anwesenheit des Polizeifahrzeugs mit eingeschaltetem Blaulicht begründet gewesen.
Das beklagte Land beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angefochtene Urteil. Es hält weiterhin die Beamten für nicht verpflichtet, in der Zeit, in der sich der Unfall anbahnte, die Vorfahrt in der Kreuzung zu regeln und meint, aus deren "zufälliger" Anwesenheit am Unfallort könne eine solche Pflicht nicht hergeleitet werden.
Der Senat hat den Kläger persönlich gehört. Wegen des Inhalts seiner Erklärungen wird auf den Berichterstattervermerk zum Protokoll der Berufungsverhandlung vom 29.2.2008 verwiesen.
Die Akten - 5 S 68/06 LG Arnsberg (CA) und 180 Js 708/05 StA Arnsberg (EA) sind - wie in erster Instanz - Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
B. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch aus § 839 I BGB i.V.m. Art. 34 GG zu, weil die Polizeibeamten des beklagten Landes gegen ihre hoheitliche Amtspflicht zur Verkehrsregelung in der Unfallkreuzung schuldhaft verstoßen haben (I.). Jedoch muss sich der Kläger ein Mitverschulden gem. § 254 BGB entgegenhalten lassen (II.), weshalb sich seine Forderung aufgrund der Gesamtabwägung der Verursachungsbeiträge aller Unfallbeteiligten und unter Beachtung von § 839 I S. 2 BGB auf den als Hauptforderung zuerkannten Betrag verringert (III.).
I. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz bestand hier eine Pflicht der vom Beklagten eingesetzten Polizeibeamten C und N3 zur Verkehrsregelung an der Unfallkreuzung, und zwar des Inhalts, den Rennteilnehmern abweichend von der Beschilderung die Vorfahrt zu gewähren. Die Richtigkeit der Behauptung des Klägers ergibt sich schon aus der Stellungnahme des Beamten C Bl. 7 EA, der sich der Beamte N3 Bl. 8 EA angeschlossen hat: Danach wurde der Verkehr auf der Unfallkreuzung durch die Polizei verkehrsbedingt geregelt, wobei "bei Bedarf" der Pkw-Verkehr auf der - sonst übergeordneten - N-Straße angehalten wurde, damit die aus der - sonst untergeordneten I kommenden - Radfahrer die N überqueren konnten. Auch nach der mündlichen Aussage des Zeugen C vor dem AG Bl. 26 CA wollten die Beamten ankommende Rennteilnehmer "möglichst durchfahren" lassen. Genauso ist es unstreitig bei der vorhergehend...