Leitsatz (amtlich)

1. Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht kann sich bei einem Reitunfall aus der Art der Übung, dem Alter und der Erfahrenheit von Reitschüler und Pferd, aus den konkreten Umständen des Einzelfalls, aus Warnzeichen in der konkreten Situation sowie aus einem falschen Eingriff des Reitlehrers oder unterlassenen Maßnahmen ergeben.

2. Eine spezielle Ausbildung der beim Reitunterricht eingesetzten Hilfsperson bedarf es nicht. Grundsätzlich reicht für die zu organisierende Beaufsichtigung des Reitunterrichts der Einsatz einer pferdeerfahrenen und auch noch jugendlichen Aufsichtsperson aus.

3. Der Geschädigte muss darlegen und beweisen, dass der Reitlehrer zur sachgerechten Durchführung der Reitstunde nicht in der Lage war und deshalb den Geschäftsherrn ein Organisationsverschulden im Sinne eines Auswahlverschuldens trifft.

4. Ein dem Reitlehrer bei der Ausführung der Reitstunde/Reitübung vorzuwerfendes Fehlverhalten muss sich der Geschäftsherr nach § 278 S. 1 BGB zurechnen lassen. Der Reitlehrer ist auch mit der Erfüllung allgemeiner Sorgfaltsanforderungen betraut.

 

Normenkette

BGB § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 253 Abs. 2, § 278 S. 1, §§ 831, 833 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Arnsberg (Urteil vom 10.07.2012; Aktenzeichen I-4 O 279/11)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 10.7.2012 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des LG Arnsberg wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beklagte betreibt unter dem Namen "E" eine Reitschule in N und bietet Reitunterricht für Kinder ab zwei Jahren an. Am 15.9.2010 meldete sich die Klägerin dort zum Reitunterricht an. Zu der Zeit war sie fünf Jahre alt und hatte zuletzt vor etwa einem halben Jahr auf einem Pony gesessen.

Am 29.9.2010 nahm die Klägerin in einer Gruppe mit weiteren fünf Kindern an einer Reitstunde bei der Aushilfe der Beklagten I L teil. Die Kinder saßen abwechselnd auf einem Pony und wurden an der Longe im Kreis geführt. Die Longe war etwa 1-2 m lang. Das Pony war nicht gesattelt. Aufgelegt war lediglich eine Decke mit einem Haltegriff. Die Kinder sollten sodann auf Kommando frei sitzend in die Hände klatschen. Gegen Ende der Reitstunde verlor die Klägerin bei dieser Übung das Gleichgewicht und rutschte vom Pony.

Bei dem Unfall zog sich die Klägerin eine Humerusfraktur links zu. Die Fraktur wurde im Rahmen eines etwa einwöchigen stationären Krankenhausaufenthalts im Klinikum Stadt T2 operativ behandelt und anschließend über fünf Wochen mit einem Gips ruhiggestellt. Am 18.11.2010 erfolgte die operative Metallentfernung. Nachfolgend wurde die Klägerin hausärztlich weiterversorgt. Dort wurde zuletzt am 15.2.2011 ein Streck- und Beugedefizit des Ellenbogengelenks festgestellt, welches mit Krankengymnastik behandelt wurde. Es verblieben zwei Operationsnarben mit Keloidbildung von 11 cm und 8,5 cm Länge.

Mit der vorliegenden Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf Schmerzensgeld i.H.v. zumindest 5.000 EUR Anspruch. Ferner verlangt sie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für zukünftige materielle und immaterielle Schäden sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 285,84 EUR.

Die Klägerin hat behauptet, dass sich das Pony im Zeitpunkt des Kommandos zum In-die-Hände-Klatschen noch in Bewegung befunden habe. Das Tier sei übermüdet und gereizt und deshalb nicht zum Reitunterricht geeignet gewesen. Die Klägerin sei am Ende der Reitstunde erschöpft gewesen. Auch habe sie sich bei dem Kommando erschrocken. Die Aushilfe der Beklagten habe nicht hinreichend schnell reagiert. Sie sei nach Alter und Ausbildung zu einem sachgerechten Reitunterricht mit kleineren Kindern überdies gar nicht in der Lage gewesen. Eine solche Qualifikation fehle auch der Beklagten selbst. Ferner sei die Unterrichtsgruppe mit fünf Kindern zu groß gewesen. Die Reitübungen seien auf einem zu harten Gelände durchgeführt worden.

Vor diesem Hintergrund sei der Beklagten eine schuldhafte Verletzung der ihr obliegenden Sorgfaltspflichten vorzuwerfen. Für den Schaden der Klägerin hafte sie deshalb sowohl als Tierhalterin als auch vertraglich aus dem Unterrichtsvertrag. Überdies habe sie mit dem Hinweis im Anmeldeformular, es bestehe eine gewerbliche Haftpflichtversicherung, die in der Regel jegliche Unfälle mit dem Pony oder Pferd abdecke, eine Garantiehaftung übernommen. Der auf der Homepage der Beklagten formulierte Haftungsausschluss sei unwirksam.

Unter Berücksichtigung des Gewichts des Sorgfaltspflichtverstoßes der Beklagten und auch im Hinblick auf das Regulierungsverhalten des Versicherers, der A, sei ein Schmerzensgeld i.H.v. zumindest 5.000 EUR angemessen. Ferner habe die Beklagte für zukünftige Schäden des Unfallgeschehens einzustehen. Die Spätfolgen der erlittenen Verletzung seien noch nicht abschließend einzuschätzen. Von den entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sei die Klägerin freizustellen.

Die Kläger...

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