Leitsatz (amtlich)

1. Die gesetzliche Vermutung für das Entstehen eines immateriellen Nachteils gem. § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG kann widerlegt sein, wenn das verzögerte Ausgangsverfahren für den Entschädigungskläger eine äußerst geringe Bedeutung hatte, die es ausgeschlossen erscheinen lässt, dass ein Nachteil in Gestalt einer seelischen Beeinträchtigung entstanden sein kann.

2. Die in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG vorgesehene Regelentschädigung kann bei einem außergewöhnlich geringen wirtschaftlichen Interesse am Ausgang des überlang dauernden Verfahrens gem. § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG aus Billigkeitsgründen herabgesetzt werden.

 

Normenkette

GVG § 198

 

Tenor

Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 600 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.4.2016 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 80 % und das beklagte Land 20 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt vom beklagten Land Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 2.900 EUR für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines Kostenfestsetzungsverfahrens.

Grundlage des beim AG F zum Aktenzeichen ... C./11 geführten Kostenfestsetzungsverfahrens war eine zu Gunsten des Klägers im Berufungsverfahren ... S./11 LG F am 16.3.2012 ergangene Kostengrundentscheidung. Der Kläger beantragte am 27.4.2012 die Festsetzung von Kosten in Höhe von 32,40 EUR gegen den unterlegenen Prozessgegner. Unter dem 28.9.2012 brachte er weitere Kosten in Höhe von 51 EUR in Ansatz und beantragte nunmehr unter Einschluss der am 27.4.2012 geltend gemachten Kosten, die noch nicht festgesetzt waren, die Festsetzung in Höhe von insgesamt 83,40 EUR. In dem Schreiben führte er aus, dass eine Bescheidung seines Antrages vom 27.4.2012 wohl bislang unterbleiben sei, weil die Akte sich beim Oberlandesgericht Hamm befinde, wofür er Verständnis zeige. Tatsächlich befand die Akte sich zur Bearbeitung einer Streitwertbeschwerde zum Aktenzeichen ...-... W./... beim Oberlandesgericht Hamm bis zu dem dort am 03.5.2013 gefassten Beschluss über die Beschwerde, von dem der Kläger nach seinem Vortrag über seinen Anwalt anschließend in Kenntnis gesetzt worden ist.

Unter dem 28.9.2014 erhob der Kläger eine Verzögerungsrüge. Der Präsident des AG F teilte dem Kläger darauf mit Schreiben vom 05.11.2014 mit, die Akte habe sich bis zum 24.5.2013 beim LG F bzw. OLG Hamm befunden und nach Aktenrückkehr seien am 11.6.2013 und 25.6.2013 zu Gunsten der Verfahrensbevollmächtigten des Klägers Kostenfestsetzungsbeschlüsse ergangen, wodurch das Kostenfestsetzungsverfahren abgeschlossen sei. Ohne Akte hätten die Kostenfestsetzungsanträge nicht bearbeitet werden können.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 17.11.2014 auf seinen unbeschiedenen Antrag vom 27.4.2012 hingewiesen hatte, teilte der Präsident des AG F am 23.12.2014 mit, dass dieser Antrag nunmehr lose in der Akte gefunden worden sei, ohne dass sich feststellen lasse, wie es dazu gekommen sei. Zugleich bat er um Entschuldigung für die entstandene Verzögerung und teilte mit, dass die Akte nunmehr unverzüglich zur Bearbeitung des Antrages vom 27.4.2012 der Rechtspflegerin zugeleitet werde.

Mit Schreiben vom 28.7.2015 erhob der Kläger erneut eine Verzögerungsrüge und verlangte u.a. Abschriften seines Kostenfestsetzungsantrages und seines weiteren Schriftsatzes, mit welchem er weitere Positionen zur Festsetzung angemeldet habe.

Am 14.9.2015 wurde sodann ein Kostenfestsetzungsbeschluss erlassen, mit welchem dem Antrag des Klägers vom 27.4.2012 stattgegeben wurde. Am 22.9.2015 wurde dem Kläger eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt.

Der Kläger erhob anschließend mit Schreiben vom 26.10.2015 erneut Verzögerungsrüge und wies auf seinen weiteren Antrag vom 28.9.2012 hin. Diesem Antrag, der sich nach Vortrag des Landes lediglich in Abschrift und ohne Eingangsstempel in der Akte befunden habe, wurde sodann mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 09.12.2015 entsprochen.

Der Senat hat dem Kläger mit Beschluss vom 19.2.2016 für eine Klage auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1.200 EUR Prozesskostenhilfe bewilligt und den weitergehenden Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass sich aus dem zwischen den Parteien nicht streitigen Sachverhalt eine unangemessene Verfahrensverzögerung im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG von rund 29 Monaten, nämlich zwischen Juli 2013 und November 2015 ergebe. Eine Entschädigung könne der Kläger allerdings nur für die letzten 12 Monate (Dezember 2014 bis November 2015) beanspruchen; für die davor liegenden 17 Monate bis einschließlich November 2014 reiche eine Wiedergutmachung durch bloße Feststellung aus. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Senatsbeschlusses vom 19.2.2016 verwiesen.

Mit seiner - teilweise auf eigene Kosten erhobenen - Klage verlangt der Kläger Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 2.900 EUR. Er ist der Auffassung, ihm stehe für die vom Se...

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