Leitsatz (amtlich)

1. Die Haftungsprivilegierung nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII (gemeinsame Betriebsstätte) ist dann gegeben, wenn ein Handwerker ein Gerüst zur Durchführung eigener Arbeiten teilweise abbaut und es dann nur unvollständig wieder aufbaut und befestigt und ein anderer Handwerker am nächsten Tag von diesem unvollständig befestigten Teil des Gerüstes stürzt.

2. Die Verschuldensregelung aus § 110 SGB VII gilt nicht für § 104 SGB VII.

 

Normenkette

SGB VII § 106 Abs. 3 Alt. 3, § 110

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 15 O 192/01)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 28.4.2001 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des LG Münster wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert den Kläger um mehr als 20.000 Euro.

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt Schmerzensgeld und Feststellung künftiger Ersatzpflicht aus einem Arbeitsunfall vom 21.9.1999, der sich beim Neubau der … Residenz in B. ereignet hat.

Der Kläger führt einen Zimmereibetrieb in Form einer GmbH. Er hatte u.a. den Auftrag, als Subunternehmer eine Holzverkleidung auf dem bereits vorhandenen Dachaufbau des Neubaus anzubringen. Der Beklagte ist selbstständiger Tischler und war als Subunternehmer beauftragt, Türen einzusetzen und Fenster zu verglasen.

Der dreistöckige Neubau war von einem Arbeits- und Schutzgerüst umstellt, das vier bis fünf Gerüstlagen aufwies und ca. 8 m hoch war. Der Beklagte und seine Hilfskräfte bauten am 20.9.1999 teilweise das Gerüst ab, um besser Türen einbauen zu können. Das Gerüst wurde an diesem Tag dann nur unvollständig wieder aufgebaut, insb. wurde eine Laufbohle nur lose aufgelegt. Am 21.9.1999 gegen 10.15 Uhr betrat der Kläger vom Dach aus eine Laufbohle, die auf der 4. Gerüstlage lag. Die Bohle rutschte einseitig von der Rüstungsstange, so dass der Kläger ca. 8 m nach unten fiel, wobei er sich äußerst schwer verletzte.

Die Parteien streiten darüber, ob die Haftung des Beklagten gem. § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ausgeschlossen ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten und den in erster Instanz gestellten Anträgen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das LG hat die Klage abgewiesen und einen Haftungsausschluss nach § 106 SGB VII angenommen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 50.000 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 des DÜG seit dem 30.1.2000 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und sämtliche zukünftigen immateriellen Schäden, die dem Kläger aus dem Unfall vom 21.9.1999 auf der Baustelle des … Residenz, … B. entstanden sind bzw. entstehen, zu ersetzen, erstere soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für richtig und meint, die Haftung sei wegen eines Unfalls auf einer gemeinsamen Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 SGB VII ausgeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist unbegründet.

Ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz nach §§ 823, 847 BGB scheidet aus. Der Beklagte ist nämlich gem. § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII haftungsprivilegiert.

1. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH v. 17.10.2000 – VI ZR 67/00, MDR 2001, 155 = BGHReport 2001, 43 = VersR 2001, 372) liegt eine gemeinsame Betriebsstätte dann vor, wenn betriebliche Aktivitäten von Unternehmen vorliegen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt.

Die Parteien haben hier auf der gemeinsamen Betriebsstätte der … Residenz gearbeitet. Ihre Arbeiten waren dadurch bewusst miteinander verknüpft i.S.d. Rechtsprechung des BGH, dass der Kläger notwendigerweise das Gerüst benutzte und der Beklagte an diesem Gerüst Maßnahmen durchgeführt, insb. dieses teilweise abgebaut hatte. Damit scheidet eine rein parallele Tätigkeit aus. Es liegt kein zufälliges Nebeneinander von Arbeiten vor, bei denen der eine Versicherte zufällig durch eine Handlung des anderen zu Schaden kommt. Dem Beklagten war bewusst, dass auch andere Handwerker das Gerüst benutzen würden und dass damit seine eigenen Maßnahmen auf andere dort Tätige einwirken konnten. Das reicht aus, um das Haftungsprivileg eingreifen zu lassen (ebenso OLG Hamm r+s 2001, 327; OLG Karlsruhe v. 23.6.1999 – 7 U 30/99, OLGReport Karlsruhe 2000, 6 = MDR 2000, 395 = VersR 2000, 99; Imbusch, VersR 2001, 547; Jahnke, VersR 2000, 155). Nicht erforderlich ist, dass die tatsächlich aus...

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