Entscheidungsstichwort (Thema)

Problem der Zurechnung „fiktiver Einkünfte” im Unterhaltsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Feststellung einer fehlenden realen Chance auf eine vollschichtige Erwerbstätigkeit als Verkäuferin für eine sog. Berufsrückkehrerin unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes sowie der persönlichen Voraussetzungen wie Alter, Gesundheitszustand, Ausbildungs- und Erwerbsbiographie trotz unzureichend dargelegter Erwerbsbemühungen.

 

Normenkette

BGB § 1573 Abs. 1, § 1574

 

Verfahrensgang

AG Hagen (Urteil vom 21.08.2009; Aktenzeichen 132 F 362/08)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 21.8.2009 verkündete Urteil des AG - Familiengericht - Hagen wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

(gem. § 540 ZPO)

Die im August 1988 geschlossene Ehe der Parteien wurde im August 1997 geschieden. Aus der Ehe sind ein Sohn, geboren im Juni 1989 und verstorben im Jahre 1990, sowie der bei der Beklagten lebende Sohn T (geb. 28.2.1993) hervorgegangen.

Der Kläger ist der Beklagten aus dem Urteil des AG Hagen (55 F 281/99) vom 4.5.2000 zur Zahlung nachehelichen Unterhalts in monatlicher Höhe von 1.328 DM = 679 EUR verpflichtet. Die Unterhaltsverpflichtung des Klägers stützt sich auf § 1570 BGB (Betreuungsunterhalt), weil der Sohn T damals 7 Jahre alt war und die erste Klasse der Grundschule besuchte. Grundlagen zur Höhe sind:

ein monatliches Nettoeinkommen des Klägers unter Einrechnung eines Freibetrages für das begrenzte Realsplitting 3.893,94 DM

abzgl. Arbeitgeberanteil zur Vermögensbildung -52 DM

abzgl. Gewerkschaftsbeitrag -39 DM

abzgl. Beitrag zur Sterbekasse -7,91 DM

abzgl. Kontoführungsgebühren -2,50 DM

abzgl. Beitrag zur Pensionskasse -88,71 DM

abzgl. Fahrtkosten für 7 EKM -112,70 DM

3.591,12 DM

abzgl. Kindesunterhalt -492 DM

3.099,12 DM

Bedarf der Beklagten 3/7 1.328 DM

= 679 EUR

Der Kläger hat eine Abänderung seiner Unterhaltsverpflichtung dahin begehrt, ab 1.7.2008 zu keiner Unterhaltsleistung an die Beklagte mehr verpflichtet zu sein. Er hat sich darauf berufen, dass der gemeinsame Sohn altersbedingt keiner Betreuung mehr bedürfe und die Beklagte deshalb zur Ausübung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit verpflichtet sei, so dass ein Unterhaltsanspruch, der jedenfalls zu befristen bzw. zu beschränken sei, entfalle.

Das Familiengericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, zwar stehe der Beklagten kein Betreuungsunterhalt mehr zu, auch sei die Beklagte zur Ausübung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit verpflichtet, gleichwohl sei der Vortitel nicht abzuändern, da ein Aufstockungsunterhalt verbleibe, der nicht wesentlich von der titulierten Unterhaltsverpflichtung abweiche. Eine Befristung des Anspruchs sei nicht vorzunehmen, da über die berufliche Entwicklung der Beklagten und ihre Erwerbsmöglichkeiten keine Prognose abgegeben werden könne. Wegen der Begründung im Einzelnen und zur weiteren Sachdarstellung wird auf das angefochtene Urteil einschließlich seiner Verweisungen Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag mit der Maßgabe weiter, dass er eine Abänderung nur noch ab Rechtshängigkeit (15.1.2009) begehrt. Er macht geltend, dass das Familiengericht sein Einkommen unzutreffend ermittelt habe und ein etwaig verbleibender Aufstockungsunterhalt zu befristen, jedenfalls aber auf einen angemessenen Bedarf herabzusetzen sei, den die Beklagte durch eine vollschichtige Erwerbstätigkeit, zu der sie verpflichtet sei, decken könne. Ehebedingte Nachteile seien der Beklagten nicht entstanden, da sie unmittelbar nach der Scheidung wieder eine Erwerbstätigkeit aufgenommen habe und ihren erlernten Beruf als Verkäuferin auch heute noch vollschichtig ausüben könnte.

Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Die zulässig erhobene Abänderungsklage (§ 323 ZPO) ist unbegründet, weil die Beklagte weiterhin einen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt mindestens in titulierter Höhe hat. Der Anspruch der Beklagten ergibt sich jedoch nicht mehr aus § 1570 BGB sondern aus § 1573 I BGB.

1. Ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB bestand nur solange, wie der im Haushalt der Beklagten lebende Sohn T der Betreuung durch die Beklagte noch bedurfte. Für die Zeit danach ergibt sich der Unterhaltsanspruch aus § 1573 I BGB, weil die Beklagte nach der Scheidung und dem Wegfall der Voraussetzungen für den Betreuungsunterhalt (§ 1573 III BGB) noch kein...

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