Leitsatz (amtlich)

1. Von einem Vorfahrtsverzicht ist nur auszugehen, wenn der Berechtigte den Verzichtswillen in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck bringt.

2. Allein aus dem Umstand, dass der Berechtigte an der Kreuzung abgestoppt hat, lässt sich kein Vorfahrtsverzicht ableiten, zumindest wenn dies auf dem Umstand beruht, dass der Berechtigte seinerseits anderen Verkehrsteilnehmern Vorfahrt gewähren müsste.

3. Eine Mithaftung unter dem Gesichtspunkt "halbe Vorfahrt" kommt nur in Betracht, wenn der Zusammenstoß durch eine zu hohe Geschwindigkeit des Vorfahrtsberechtigten mitverursacht worden ist.

 

Normenkette

StVO § 11 Abs. 3 HS 2, §§ 8, 11 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Essen (Aktenzeichen 4 O 315/17)

 

Tenor

Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung gegen das am 12.3.2018 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen (Az. 4 O 315/17) gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung ist zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich; die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1-4 ZPO.

Der Klägerin wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen nach Zugang dieses Beschlusses gegeben.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt nach einem Verkehrsunfall von den Beklagten Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige, nicht vorhersehbare Schäden.

Am ........2015 gegen 13:40 h befuhr sie mit ihrem Pedelec in H-C2 die M2 in südlicher Richtung. Sie wollte die Fahrt geradeaus über die von rechts einmündende Straße "I" hinweg fortsetzen. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme steht mittlerweile fest, dass sich hinter ihr der Zeuge K mit seinem PKW befand.

Der Kreuzungsbereich M-Straße I ist nicht durch Verkehrsschilder geregelt.

Der Beklagte zu 2) befuhr mit dem von ihm gesteuerten, bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Transporter VW Crafter, amtliches Kennzeichen ...-... ..., die I aus Sicht der Klägerin von rechts kommend und wollte nach rechts in die M2 abbiegen. Im Kreuzungsbereich hielt er an, da er seinerseits ein von rechts herannahendes Fahrzeug zu beachten hatte. Die M2 ist zweispurig.

Als er wieder anfuhr, kam es aus zwischen den Parteien streitigen Umständen zur Kollision mit der Klägerin. Sie stürzte und zog sich dabei u.a. einen doppelten Bruch des rechten Beines oberhalb des Sprunggelenks im Bereich des Schien- und Wadenbeins zu, der operativ versorgt werden musste. Bis zum 6.5.2015 verblieb sie in stationärer Behandlung.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe sich mit dem Beklagten zu 2) eindeutig über einen Vorfahrtsverzicht verständigt. Sie habe sich noch mit einem Handzeichen bedankt. Ein solcher Verzicht sei auch nicht ungewöhnlich, weil der Beklagte zu 2) ohnehin habe anhalten und dem von rechts aus der M2 kommenden Fahrzeug die Vorfahrt einräumen müssen. Der Beklagte zu 2) sei trotzdem angefahren und habe dabei die notwendige Sorgfalt missachtet. Sie habe sich bereits frontal vor seinem Fahrzeug befunden, als er angefahren sei.

Durch die Verletzung sei sie erheblich körperlich sowie in der Gestaltung ihres gewohnten Lebensalltags beeinträchtigt. Sie leide dauerhaft an Schmerzen und nehme noch jetzt Schmerzmittel ein. Daher sei ein Schmerzensgeld von insgesamt 20.000,- EUR angemessen, wobei sie sich einen Mitverschuldensanteil in Höhe von 50 % anrechnen lasse.

Die Beklagten haben behauptet, die Klägerin habe die Vorfahrtsregelung überhaupt nicht bedacht. Über einen Vorfahrtsverzicht hätten sich die Beteiligten nicht verständigt. Der Beklagte zu 2) habe vor dem Anfahren nicht nach links schauen müssen. Als er die Klägerin erkannt habe, habe er sofort reagiert und abgestoppt. Für eine Unfallvermeidung sei es aber zu spät gewesen. Die Klägerin sei von der linken vorderen Ecke des VW Crafter erfasst worden. Die Schmerzensgeldforderung sei überdies überhöht.

Das Landgericht hat die Klägerin und den Beklagten zu 2) persönlich angehört sowie Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K und C.

Mit angefochtenem Urteil, auf das wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, dass die Klägerin ein derart erhebliches Eigenverschulden an dem Zustandekommen des Unfalls treffe, dass eine Haftung der Beklagten ausgeschlossen sei. Die Klägerin habe gegen § 8 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen. Sie hätte dem Beklagten zu 2) sein Vorfahrtsrecht gewähren müssen. Hierauf habe der Beklagte zu 2) vertrauen dürfen. Für ihn habe es keinen Anlass gegeben zu erkennen, dass die Klägerin sein Vorfahrtsrecht nicht beachten werde. Die Verständigung über einen Vorfahrtsverzicht habe die Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bewiesen. Sie habe auch nicht da...

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