Leitsatz (amtlich)

Allein der Wille einer Jugendlichen, nicht im Haushalt der Kindeseltern leben zu wollen, rechtfertigt keinen Sorgerechtsentzug im Wege der einstweiligen Anordnung.

 

Normenkette

BGB §§ 1666, 1666a

 

Verfahrensgang

AG Schwerte (Beschluss vom 06.01.2015; Aktenzeichen 3 F 148/14)

 

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Schwerte vom 6.1.2015 abgeändert und das Sorgerecht für D S, geboren am ...01, bei den Kindeseltern im Wege der einstweiligen Anordnung belassen.

Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Aus der Ehe der Beteiligten ist die betroffene Jugendliche D, geboren am ...01, hervorgegangen, welche im Haushalt der Kindeseltern lebte. Am 17.6.2014 wandte sie sich zunächst an eine Lehrerin um Hilfe und bat sodann beim Jugendamt um ihre Inobhutnahme (§ 42 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VIII).

Aus der ersten Ehe der Kindesmutter ist die Tochter T, geboren am ...80, hervorgegangen, die im Alter von 18 Jahren aus der Wohnung der Kindeseltern auszog. Sie ist seit 2004 verheiratet. Der Kontakt der Kindeseltern zu T war zwischenzeitlich abgebrochen, besteht aber seit 2011 wieder in unregelmäßigen Abständen. In dem Haushalt der Halbschwester T und deren Ehemannes ist D nun untergebracht.

D hat erklärt, sie wolle nicht mehr in den elterlichen Haushalt zurückkehren, da ihr Vater sie in der Regel einmal in der Woche in das Gesicht schlage; in ihrer persönlichen Anhörung schildert sie einen Vorfall aus der 5. Klasse und einen Vorfall aus der 6. Klasse. Sie schilderte detailliert einzelne Vorfälle, in denen es zu Auseinandersetzungen mit ihrem Vater gekommen sei und darüber hinaus eine konkrete Situation, die sie veranlasst habe, sich um Hilfe an eine Lehrerin und sodann an das Jugendamt zu wenden. Insgesamt sei sie streng erzogen worden und habe sich kaum mit Freunden verabreden dürfen. Sie habe viel helfen müssen (Zementsäcke schleppen, Holz hacken, Tisch abräumen). Sie habe sich die Arme aufgeritzt, was ihre Eltern ignoriert hätten. Kontakt zu ihrer Halbschwester T hätten die Eltern unterbunden.

Das zuständige Jugendamt hat beantragt, den Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie die Vertretung gegenüber Behörden, insbesondere das Antragsrecht für Hilfe zur Erziehung gem. § 27 SGB VIII sowie die Gesundheitsfürsorge zu entziehen und einem Ergänzungspfleger zu übertragen.

Die Kindeseltern haben erstinstanzlich Antragszurückweisung und die Anordnung der Kindesherausgabe an sie beantragt.

Sie haben die Behauptungen von D detailliert bestritten und den Ablauf der einzelnen Vorfälle konkret abweichend geschildert. Dem Kindesvater sei vor zwei Jahren einmal die Hand ausgerutscht. Die Vorwürfe Ds kämen für sie aus heiterem Himmel.

Der Aufenthalt im Haushalt der Halbschwester T widerspreche dem Kindeswohl. Diese und auch deren Ehemann arbeiteten in Wechselschicht, so dass D teils nachts allein sei und abends unkontrolliert Fernsehen schaue.

Das Familiengericht hat in der Hauptsache einen Beweisbeschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens erlassen. Daneben hat es nach mündlicher Verhandlung im Wege der einstweiligen Anordnung den Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht zur Beantragung von Hilfe zur Erziehung entzogen und Ergänzungspflegschaft durch das Jugendamt angeordnet.

Zur Begründung hat es ausgeführt, bis zum Ergebnis des Sachverständigengutachtens sei der Zustand zu regeln. Das Kind weigere sich in den elterlichen Haushalt zurückzukehren und die Kindeseltern weigern sich, der Unterbringung ihrer Tochter in einer Pflegefamilie zuzustimmen. Ein Schlag des Kindes stelle eine Kindeswohlgefährdung dar. Auch entspreche es nicht dem Wohl des Kindes, dieses entgegen seinem eindeutigen Willen in den elterlichen Haushalt zurückzuführen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sei lediglich das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Beantragung von Hilfe zur Erziehung zu entziehen.

Dagegen wenden sich die Kindeseltern mit ihrer Beschwerde.

Sie monieren, dass D nicht in Anwesenheit der Kindeseltern und (nach einem Richterwechsel) nicht durch den erkennenden Richter angehört wurde. Sie behaupten, dass entgegen der Darstellung ihrer Tochter bei einem Schlag durch den Kindesvater kein Schneidezahn abgebrochen sei; dies ergebe sich aus dem Bericht des Zahnarztes. Außer einer einmaligen Ohrfeige durch den Kindesvater habe es keine Züchtigung der Tochter gegeben. Der Aufenthalt von D bei der Halbschwester sei dem Kindeswohl nicht förderlich.

Sollten die Kindeseltern das Sorgerecht wieder uneingeschränkt ausüben können, beabsichtigen sie, D in eine Therapiestelle unterzubringen. Es sei nicht beabsichtigt, sie gegen ihren Willen in den eigenen Haushalt aufzunehmen. Es gelte aber, eine (gegen die Kindeseltern gerichtete) Beeinflussung Ds durch ihre Halbschwester zu unterbinden.

Das Jugendamt und der Verfahrensbeistand verteidigen den erstinstanzlichen Beschluss.

Sie berufen sich auf den Will...

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