Entscheidungsstichwort (Thema)

Klassenfahrt und Nachhilfe regelmäßig kein Sonderbedarf

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für eine Klassenfahrt und für Nachhilfeunterricht entstehende Kosten sind regelmäßig kein Sonderbedarf, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die dazu führen, dass sie unvorhersehbar sind und deshalb mit dem laufenden Unterhalt nicht geltend gemacht werden können. Vorhersehbare Kosten für den Nachhilfeunterricht können (unter den Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 S. 1 BGB) als Mehrbedarf geltend gemacht werden, wenn sie über einen längeren Zeitraum anfallen und das Übliche derart übersteigen, dass sie nicht mit den Regelsätzen der Düsseldorfer Tabelle erfasst werden.

2. Von einer Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners, der mit seinen laufenden Einkünften nicht in der Lage ist, das Existenzminimum des unterhaltsbedürftigen Kindes sicherzustellen, kann regelmäßig ausgegangen werden, wenn und soweit er über ausreichendes Vermögen verfügt, welches er, im Rahmen der nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilenden Zumutbarkeit, zur vollständigen oder anteiligen Deckung des Mehrbedarfs einsetzen kann.

 

Normenkette

BGB §§ 1601, 1610 Abs. 2, § 1613 Abs. 1, 2 Nr. 1

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsteller vom 8.8.2005 wird, nach mit diesem Beschluss zugleich vorab gem. § 568 S. 2 Nr. 1 ZPO erfolgter Übertragung des Beschwerdeverfahrens durch den Einzelrichter auf den Senat, unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen der Beschluss des AG - FamG - B. vom 4.7.2005 abgeändert.

Den Antragstellern wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt D. aus B. ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit sie beantragen, den Antragsgegner - über die bereits durch Jugendamtsurkunden titulierten Unterhaltsbeträge hinaus - zur Zahlung von 460 EUR Mehrbedarf je Antragsteller nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.

 

Gründe

I. Die heute 16 Jahre alten Antragsteller nehmen - vertreten durch ihre Mutter - den Antragsgegner, ihren leiblichen Vater aus geschiedener Ehe mit der Mutter, auf Zahlung von je 755,67 EUR "Sonderbedarf" für Nachhilfeunterricht in der Zeit vom 1.6.2004 bis zum 30.6.2005 und von je 102,15 EUR für eine Klassenfahrt nach Hamburg in der Zeit vom 31.8.2005 bis zum 2.9.2005 sowie auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten i.H.v. 111,88 EUR in Anspruch. Die tatsächlich entstandenen Kosten für den Nachhilfeunterricht betrugen 1.511,35 EUR je Kind und für die Klassenfahrt je 204,30 EUR je Kind.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat das FamG den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO) zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Antragsgegner nicht leistungsfähig sei.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.

II. Die gem. § 127 Abs. 2 Nr. 2, 3 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache nur im tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist ihr keine Erfolgsaussicht beschieden.

a) Den Antragstellern steht gegen den Antragsgegner kein Anspruch auf angemessene Beteiligung an den Kosten für Sonderbedarf gem. den §§ 1601 ff., 1610 Abs. 2 BGB zu, denn bei den entstandenen Kosten für den Nachhilfeunterricht und die Klassenfahrt handelt es sich nicht um Sonderbedarf i.S.d. § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Zum Sonderbedarf gehören alle, zur Deckung des Lebensbedarfs notwendigen, unregelmäßigen außergewöhnlich hohen Kosten (§§ 1610 Abs. 2, 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Wann ein Bedarf außergewöhnlich hoch ist, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen. Dabei sind die Höhe des laufenden Unterhalts, der Lebenszuschnitt der Beteiligten und die Art und der Umfang der besonderen Aufwendungen zu berücksichtigen. Unregelmäßig ist nur der Bedarf, der nicht mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen war und deswegen bei der Bemessung der laufenden Unterhaltsrente nicht berücksichtigt werden konnte, denn die Vorschrift des § 1613 Abs. 1 BGB räumt dem Schutz des Unterhaltsschuldners vor Ansprüchen, mit deren Geltendmachung er nicht mehr rechnen musste, Vorrang vor den Interessen des Unterhaltsgläubigers ein, der seinen Bedarf vorausschauend kalkulieren kann. Deswegen kann der Unterhaltsberechtigte Unterhalt für die Vergangenheit grundsätzlich nur von dem Zeitpunkt an fordern, in welchem er den Unterhaltsschuldner zur Auskunftserteilung über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse aufgefordert oder in Verzug gesetzt hat (BGH v. 15.2.2006 - XII ZR 4/04, BGHReport 2006, 788 = FamRZ 2006, 612 f.).

Die Kosten für die Klassenfahrt sind deswegen kein Sonderbedarf, weil sie nicht außergewöhnlich hoch und mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen waren. Der Beklagte hat sich durch Urkunden des Jugendamts des Kreises Höxter vom 18.10.2004 zur Zahlung von 256,83 EUR Kindesunterhalt für jeden Antragsteller verpflichtet. Dass die Klassenfahrt im Sommer 2005 stattfinden würde, war den Antragstellern bzw. ihrer Mutter bereits im Herbst 2004 bekannt, zumal sie den Antragsgegner am 9.10.2004 auf die bevorstehe...

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