Leitsatz (amtlich)

1. Es ist jedem Staat selbst überlassen, ob und wie er die Frage der Verjährung in seinen Gesetzen regelt und insbesondere, welchen Verjährungsfristen er einzelne Ansprüche unterwirft.

2. Mit dem deutschen materiellen ordre public ist ein Gesetz nicht schon deshalb unvereinbar, wenn der deutsche Richter, hätte er den Prozess entschieden, aufgrund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

3. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischer Vorstellung untragbar erscheint.

 

Normenkette

EGBGB Art. 6; GG Art. 19 IV; Rom II-VO Art. 4 I, Art. 4 III, Art. 14 I 2, Art. 15 Ziff. h, Art. 26

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Aktenzeichen 7 O 95/15)

 

Tenor

Die Prozesskostenhilfegesuche der Kläger werden zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die Kläger nehmen die Beklagte auf Ersatz immateriellen, hilfsweise materiellen Schadens aufgrund eines schweren Brandunglücks in Anspruch, das sich am 11.09.2012 in der Textilfabrik B in L, Pakistan, ereignete und für das sie die Beklagte verantwortlich machen.

Bei dem Brand in der Textilfabrik kamen 259 Menschen ums Leben, darunter auch die bei B beschäftigten Söhne der Kläger zu 1), 2) und 4). Der ebenfalls dort beschäftigte Kläger zu 3) erlitt schwere Verletzungen. Die Beklagte unterhielt zum Brandzeitpunkt eine seit 2007 bestehende Geschäftsbeziehung zu B und ließ dort Jeans unter dem Label "p" fertigen. Grundlage der Geschäftsbeziehung war u. a. ein von der Beklagten im Jahr 2006 auf der Grundlage internationaler Abkommen sowie einschlägiger Regelungen der Vereinten Nationen entwickelter Verhaltenskodex (Code of Conduct), in welchem zur Wahrung von Grundrechten und internationalen Standards Mindestvorgaben für die Produzenten der Beklagten insbesondere im Hinblick auf die von diesen in ihren Produktionsstätten zu gewährleisteten Arbeitsbedingungen, die Arbeitssicherheit sowie die an die Beschäftigten zu zahlende Vergütung festgeschrieben wurden.

Die Kläger, die jeweils ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,00 EUR von der Beklagten verlangen, vertreten die Auffassung, dass die Beklagte, die die Kapazitäten von B zu mindestens 75 % ausgelastet haben soll, aufgrund ihrer beherrschenden Stellung und ihres Verhaltenskodex verpflichtet und in der Lage gewesen wäre, dafür Sorge zu tragen, dass die Textilfabrik den Anforderungen an ordnungsgemäßen Brandschutz entsprochen hätte, was tatsächlich nicht der Fall gewesen sei und was so viele Menschen das Leben gekostet habe. Die Verhältnisse vor Ort seien ihren Mitarbeitern bekannt gewesen.

Das Landgericht hat die Einholung eines Gutachtens über die maßgebliche Rechtslage nach pakistanischem Recht angeordnet und den Gutachter angewiesen, zunächst zur Frage der Verjährung der Ansprüche nach pakistanischem Recht Stellung zu nehmen. Sodann hat es mit der angefochtenen Entscheidung die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, sämtliche Ansprüche der Kläger seien verjährt, da die Verjährungsfrist nach pakistanischem Recht ein, maximal zwei Jahre betrage und mit dem Brandereignis am 11.09.2012 zu laufen begonnen habe.

Die Kläger möchten gegen diese Entscheidung Berufung einlegen und beantragen zu diesem Zwecke die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Sie führen aus, das Landgericht habe zu Unrecht die Verjährung ihrer Ansprüche angenommen. Sie vertreten die Auffassung, dass eine durch Verhandlungen und Vereinbarungen nicht verlängerbare Verjährungsfrist von nur einem Jahr gegen den ordre public verstoße und daher vom deutschen Gericht nicht anzuwenden sei. Die Dauer der Verjährungsfrist sowie auch ihr kenntnisunabhängiger Beginn weiche erheblich vom deutschen Recht ab. Es sei auch zu beachten, dass wesentliche anspruchsbegründende Umstände, wie die Kausalität, insbesondere bei Großschäden, erst sehr spät geklärt werden könnten. Im vorliegenden Fall habe erst das erstinstanzlich eingereichte Gutachten von G vom 15.01.2018 den Nachweis erbracht, inwiefern die Architektur des Gebäudes, Managemententscheidungen und fehlende Sicherheitsvorkehrungen mit der hohen Opferzahl zusammenhingen und dass im Falle der Einhaltung vorgeschriebener Standards deutlich weniger Menschen zu Schaden gekommen wären.

Die pakistanischen Verjährungsregelungen wären nach deutschem Recht verfassungswidrig, weil sie den Zugang zum Gericht und damit den objektiven Rechtsschutz i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG in unzulässiger Weise beschnitten. Im vorliegenden Fall sei daher zur Gewährleistung eines effektiven Rechts auf Zugang zum Gericht den ungewöhnlichen Umständen und der Überforderung der Antragsteller durch die Komplexität der Sache Rechnung zu tragen. Die Kläger hätten aufgrund der finanziellen Auswirkungen des Verlustes der Angehörigen bzw. der eigenen Schwerbehinderung, der unmittelbaren psychischen Auswirkungen des Unglücks sowie der Komplexität des interkontinen...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge