Verfahrensgang

AG Herne-Wanne (Aktenzeichen 9 Ds 22 Js 237/07 (52/07))

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird, soweit der Angeklagte wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung verurteilt worden ist, mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Herne-Wanne zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Das Amtsgericht – Jugendgericht-Herne-Wanne hat den Angeklagten am 11. Juni 2007 wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung unter Einbeziehung des Urteils vom 21. März 2005 zu einer Jugendstrafe von neun Monaten kostenpflichtig verurteilt.

Ein ausdrücklicher Teilfreispruch hinsichtlich einer dem Angeklagten ebenfalls vorgeworfenen Freiheitsberaubung ist zwar in den Urteilsgründen, nicht aber im Tenor des Urteils geschehen.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte am 12. Juni 2006 ein als Berufung bezeichnetes Rechtsmittel eingelegt. Nach der Zustellung des vollständigen Urteils am 20. Juni 2007 hat der inzwischen vom Landgericht Bochum dem Angeklagten beigeordnete Verteidiger das Rechtsmittel mit am 20. Juli 2007 beim Amtsgericht Herne-Wanne eingegangenen Schriftsatz als Revision bezeichnet. Zur Begründung der Revision erhebt der Angeklagte neben der materiellen Rüge die Rüge der Verletzung formellen Rechts, die er auf die Verletzung von § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO stützt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig. Es hat auch in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts – Jugendrichter – Herne-Wanne.

1. Unschädlich ist, dass der Angeklagte sein Rechtsmittel zunächst mit Schreiben vom 12. Juni 2007 ausdrücklich als Berufung bezeichnet hat und mit Schriftsatz seines Verteidigers innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist mitgeteilt hat, das Rechtsmittel als Revision zu führen. Es ist gefestigte Rechtsprechung, dass der Rechtsmittelführer, der in der Rechtsmitteleinlegungsfrist Berufung eingelegt hat, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO noch erklären darf, von der ursprünglich gewählten Berufung zur Revision überzugehen (so auch Senat am 4. Dezember 2006 (2 Ss 413/06), BGHSt 5, 338 = NJW 1954, 687). Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 03. Dezember 2003 in 5 StR 249/03 = NJW 2004, 789 f) im Übrigen nochmals bekräftigt. Daran ändert auch nichts, dass das Landgericht Bochum als Berufungsgericht durch die Bestellung des Pflichtverteidigers des Angeklagten bereits tätig geworden ist.

2. Die Revision hat schon mit der formellen Rüge – zumindest vorläufig – Erfolg. Der Angeklagte hat zu Recht einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO geltend gemacht. Ihm hätte als Heranwachsendem vom Amtsgericht gemäß §§ 68 Nr.1 JGG, 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden müssen. Im Jugendgerichtsverfahren ist dem Heranwachsenden gemäß §§ 109 Abs. 1, 68 Nr. 1 JGG ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die Bestellung auch für einen Erwachsenen geboten wäre. Darin sieht die allgemeine Meinung eine Verweisung auf die Vorschrift des § 140 StPO (vgl. u.a. OLG Hamm NJW 2004, 1338; OLG Koblenz StV 2007, 3; Senatsbeschluss vom 26. April 2004 in 2 Ss 54/04 = NStZ-RR 2006, 26; jew. m.w.N.). Danach ist die Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung und die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich, wenn wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann. Die „Schwere der Tat”, die sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung richtet, gebietet nach wohl überwiegender Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Auffassung der Literatur (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 140 Rn 23 ff. m.w.N.) die Beiordnung eines Pflichtverteidigers grundsätzlich dann, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu erwarten ist. Dies gilt im Jugendstrafrecht auf jeden Fall auch. Ob die Beiordnung eines Pflichtverteidigers sogar schon dann in jedem Fall erforderlich ist, wenn eine Jugendstrafe droht (so LG Gera, StraFo 1998, 270 = StV 1999, 654), braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Der Senat hatte bereits in seinem Beschluss vom 26. April 2004 (Az.: 2 Ss 54/04 = NStZ-RR 2006, 26) angemerkt, dass aufgrund des im Jugendstrafrecht – im Gegensatz zu den §§ 38 ff StGB für Erwachsene – drohenden Mindestmasses der Jugendstrafe von sechs Monaten manches dafür spricht, der Auffassung des Landgerichts Gera zu folgen. Die Frage kann aber vor...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge