Leitsatz (amtlich)

1. Nahe persönliche Beziehungen eines Richters zu einer Partei können die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich begründen. Dies gilt indes nicht generell. Ob die Besorgnis der Befangenheit mit Rücksicht auf freundschaftliche Beziehungen gerechtfertigt ist, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Maßgebend ist, ob nach Art und Gegenstand des Verfahrens und der sich daraus ergebenden Interessenlage vernünftigerweise befürchtet werden muss, der Richter stehe aufgrund seiner persönlichen Beziehung zu einem Beteiligten der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber.

2. Allein daraus, dass sich der abgelehnte Richter und eine Partei bei Zusammentreffen im Alltag "duzen", kann nicht auf das Bestehen einer nahen persönlichen Beziehung geschlossen werden. Ist die vertrauliche Anrede allein auf die gemeinsame Herkunft aus einem kleineren Ortsteil mit einer überschaubaren Einwohnerzahl (hier: im Raum Ostwestfalen) zurückzuführen, ist dies noch kein Indiz für eine nahe persönliche Beziehung und deshalb nicht geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung zu rechtfertigen.

3. Auch der Umstand, dass der abgelehnte Richter die gemeinsame Herkunft und das bei alltäglichen Zusammentreffen übliche "Duzen" nicht im Vorfeld der mündlichen Verhandlung offenbart, sondern im Termin bewusst eine förmliche Anrede mit "Sie" wählt, rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit nicht.

4. Die gemeinsame Mitgliedschaft in einem Verein (hier: Heimatschutz- und Schützenverein) vermag ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten.

 

Verfahrensgang

LG Q (Beschluss vom 26.01.2012)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 21.2.2012 gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Q vom 26.1.2012 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 202.841,07 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte - ein in Q ansässiges Bauunternehmen - im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung restlichen Werklohns in Anspruch.

Mit Schriftsatz vom 7.12.2011 hat die Klägerin den für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständigen Einzelrichter - Vorsitzenden Richter am LG Xxx - wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und sich zur Begründung auf ein angeblich bestehendes Näheverhältnis zwischen dem abgelehnten Richter und einem Vorstandsmitglied der Beklagten (Herrn F) berufen. Im Einzelnen hat die Klägerin ausgeführt, beide Personen seien in demselben Ortsteil der Stadt Z1 aufgewachsen und - wie bereits Angehörige beider Familien auch - Mitglieder in demselben Schützen- bzw. Heimatverein. Des Weiteren habe der Onkel des abgelehnten Richters ein Bauunternehmen geführt, in dem ein Bruder des Herrn F lange Zeit gearbeitet habe; dieses Unternehmen sei auch für die Beklagte tätig geworden. Überhaupt sei die Beklagte ein bedeutender Auftraggeber für die Region, so dass eine der Beklagten nachteilige Sachentscheidung auch für das soziale Umfeld des abgelehnten Richters erhebliche Brisanz hätte.

Vorsitzender Richter am LG Xxx hat in einer dienstlichen Äußerung vom 19.12.2011 erklärt, seit seiner Geburt bis heute keine persönlichen, privaten oder geschäftlichen Beziehungen zu Herrn F oder dessen Familie unterhalten zu haben. Aufgrund der gemeinsamen Herkunft aus einem Ortsteil mit nur ca. 800 Einwohnern sei man allerdings miteinander bekannt und "duze" sich daher bei Begegnungen im Alltag. In einem Heimatschutz-/Schützenverein seines Herkunfts- bzw. Heimatortes sei er - Xxx - lediglich passives Mitglied. Zu dem von einem Onkel (bis 1985) geführten Bauunternehmen habe er keine persönliche oder geschäftliche Beziehung unterhalten.

Nach Kenntnisnahme von der dienstlichen Äußerung hat die Klägerin das Ablehnungsgesuch auch darauf gestützt, dass sich der abgelehnte Richter und das Vorstandsmitglied der Beklagten im Alltag "duzen" würden, wohingegen man sich anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 13.10.2011 mit "Sie" angeredet habe. Letzteres lasse den Rückschluss zu, dass das persönliche Näheverhältnis in der Sitzung bewusst verschwiegen worden sei, um es nunmehr "scheibchenweise" einzuräumen.

Das LG hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 26.1.2012 zurückgewiesen und sich hierbei auf den Inhalt der dienstlichen Äußerung vom 19.12.2011 gestützt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin. Sie wiederholt und intensiviert ihr Vorbringen und beanstandet, das LG habe jedenfalls nicht die gebotene Gesamtwürdigung der einzelnen vorgetragenen Ablehnungsgründe vorgenommen. Außerdem meint die Klägerin, das LG habe seine Entscheidung nicht auf den Inhalt der dienstlichen Äußerung des Abgelehnten selbst stützen dürfen.

II. Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 46 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Das LG hat das gegen den Vorsitzenden Richter am LG Xxx gerichtete Ablehnungsgesuch aus zutreffenden Gründen zurückgewiesen.

Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangen...

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