Leitsatz (amtlich)

Die Ausnahmeregelung des § 269 Abs. 3 S. 2, Alt. 2 ZPO, die nach Klagerücknahme die Überbürdung der Kosten des Rechtsstreits auf den Beklagten "aus einem anderen Grund" erlaubt, betrifft grundsätzlich nur die Fälle des § 93d ZPO (insoweit Übernahme von BGH NJW 2004, 223). Ein solcher "anderer Grund" ist nicht schon deshalb gegeben, weil der Beklagte erstmals im Rechtsstreit einen Sachverhalt vorträgt, dessen vorherige Kenntnis den Kläger von der Erhebung der Klage abgehalten hätte. Die Frage einer analogen Anwendung von § 93d ZPO bleibt offen.

 

Verfahrensgang

LG Münster (Beschluss vom 10.12.2006; Aktenzeichen 10 O 335/06)

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Dessen Streitwert wird auf bis zu 2.500 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Der klagende gesetzliche Träger der Sozialversicherung hatte die Beklagten als Geschäftsführer einer insolvent gewordenen GmbH wegen Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung gem. § 823 II BGB ivm § 266a StGB auf Schadensersatz in Anspruch genommen und hat die Klage zurückgenommen, nachdem die Beklagten - erst auf gerichtliche Hinweisverfügung nach § 139 ZPO - zur Insolvenzeröffnung führende Zahlungsschwierigkeiten der GmbH in der Zeit der Fälligkeit der erfolgten Lohnzahlungen substantiiert dargetan hatte. Seine sofortige Beschwerde richtet sich gegen die Versagung der beantragten Überbürdung der Verfahrenskosten auf die Beklagten nach der Ausnahmeregel des § 269 III S. 2, Alt. 2 ZPO.

B. Die gem. § 269 V S. 1 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das LG nach der Klagerücknahme eine von der gesetzlichen Regel abweichende Überbürdung der Prozesskosten auf die Beklagten gem. § 269 III S. 2, Alt. 2 ZPO nicht vorgenommen, weil sie diesen nicht "aus einem anderen Grund" aufzuerlegen sind.

"... Nach dieser Vorschrift hat der Kläger bei einer Klagerücknahme diejenigen Kosten nicht zu tragen, die dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind. Anlass für diese Ausnahmeregelung war die Neufassung des § 93d ZPO durch das Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder (Kindesunterhaltsgesetz) vom 6.4.1998 (BGBl. I, 666). Danach können die Kosten des Rechtsstreits abweichend von § 269 Abs. 3 ZPO der beklagten Partei auferlegt werden, wenn sie zu einem Unterhaltsprozess Anlass gegeben hat, indem sie ihre Auskunftspflicht nicht oder nicht vollständig erfüllt hat. Damit verbunden war eine Ergänzung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO dahingehend, dass von der Kostentragungspflicht des Klägers im Falle der Klagerücknahme die Kosten ausgenommen waren, die "dem Beklagten aufzuerlegen" waren. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum Kindesunterhaltsgesetz war damit allein der Fall des § 93d ZPO gemeint (BT-Drucks. 13/7338, 33). Eine sachliche Änderung über diesen Bereich hinaus war nicht beabsichtigt.

Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (ZPO-Reformgesetz) vom 27.7.2001 (BGBl. I, 1887) hat sich an dieser Rechtslage nichts geändert. Vielmehr ist § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO nur redaktionell geändert worden. Von der Kostenlast des Klägers sind danach die Kosten ausgenommen, die dem Beklagten "aus einem anderen Grund" aufzuerlegen sind. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum ZPO-Reformgesetz sollte damit klargestellt werden, dass dem Kläger die Kosten nicht auferlegt werden können, wenn einer der schon bisher von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle vorliegt (BT-Drucks. 14/4722, 80).

Durch diese Gesetzesänderung ist dagegen nicht die Möglichkeit geschaffen worden, bei der Kostenentscheidung nach Klagerücknahme auch die materiell-rechtliche Kostenerstattungspflicht zu. Die Kostenvorschriften der ZPO befassen sich nach wie vor nur mit dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch. Die Kostenpflicht muss sich aus der Prozesssituation ergeben. Materiell-rechtliche Erwägungen dürfen dabei grundsätzlich keine Rolle spielen. Das Gericht soll nicht gezwungen sein, im Rahmen der Kostenentscheidung - von den gesetzlich begründeten Ausnahmefällen abgesehen - materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen zu prüfen ..."

Den vorstehend zitierten Ausführungen des BGH in seinem Beschl. v. 27.10.2003 - Az. II ZB 38/02 -, veröffentlicht u.a. in NJW 2004, 223, schließt der erkennende Richter sich an.

Danach käme im vorliegenden Fall eine Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO nur noch in Betracht, wenn die Klagerücknahme in einer der von § 93d ZPO geregelten vergleichbaren Prozesslage erfolgt wäre, mithin § 93d ZPO analog angewendet werden könnte. Eine solche Prozesssituation, in der erst die verspätete Erteilung vom Beklagten geschuldeter Auskünfte die Unbegründetheit der Klageforderung zu Tage treten lässt, war hier nicht gegeben.

Zum Einen bestand für die Beklagten eine gesetzliche Auskunftspflicht, so wie sie für den Unterhaltsschuldner in §§ 1605, 1580 BGB normiert ist, ggü. der Klägerin über die insolvenzrechtlich beachtli...

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