Verfahrensgang

AG Essen (Aktenzeichen 43 OWi 85/20)

 

Tenor

  1. Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (Entscheidung des mitentscheidenden Einzelrichters).
  2. Die Sache wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich der Vorsitzenden übertragen (Entscheidung des mitentscheidenden Einzelrichters).
  3. Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO).
  4. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Betroffene zu tragen.
 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Essen hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 22. April 2020 wegen vorsätzlicher verbotswidriger Benutzung eines elektronischen Gerätes, das der Kommunikation, Organisation und Information dient oder zu dienen bestimmt ist, als Kraftfahrzeugführer eine Geldbuße von 100,00 € verhängt.

In der Sache hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:

"Der Betroffene befuhr am 00.11.2019 als Kraftfahrzeugführer mit einem Q gegen 10:35 Uhr die B Straße in Fahrtrichtung Stadtmitte. Auf Höhe der Kreuzung zur Nstraße bediente der Betroffene zielgerichtet seinen elektronischen Taschenrechner, indem er diesen in der Hand hielt und zielgerichtet mit mindestens einem Finger auf diesen tippte und hierdurch die elektronischen Funktionen des Taschenrechners zielgerichtet nutzte."

Zur Beweiswürdigung führte das Amtsgericht aus, es sei zu Gunsten des Betroffenen dessen Einlassung gefolgt, er habe einen elektronischen Taschenrechner benutzt. Durch Bußgeldbescheid der Stadt Essen vom 19.11.2019 war ihm hingegen die Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführer zur Last gelegt worden.

Die Einlassung des Betroffenen hat das Amtsgericht wie folgt wiedergegeben:

"Es stimme, dass er [der Betroffene] am Tatort den Pkw Q seines Vaters geführt habe. Er habe zuvor eine Mathematik Vorlesung besucht und mit dem Professor gesprochen, weil dieser ihm seiner Meinung nach zu Unrecht Punkte abgezogen habe. Er habe während der Fahrt am Tatort mit seinem elektronischen Taschenrechner, den er in der Hand gehalten habe, die Aufgaben, für die ihm zu Unrecht Punkte abgezogen worden seien, nachgerechnet. Vor Ort habe er sich nicht geäußert, weil er gewusst habe, dass es unterschiedliche Ansichten dazu gebe, ob die Benutzung eines elektronischen Taschenrechners eine Ordnungswidrigkeit darstelle.

Die Benutzung eines elektronischen Taschenrechners während der Fahrt stelle nach richtiger Rechtsansicht keine Ordnungswidrigkeit dar. Er mache sich den Beschluss des OLG Oldenburg vom 25.06.2018 (2 Ss (OWi) 175/18) zu Eigen."

Der Betroffene hat die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil beantragt. Zur Begründung des Zulassungsantrags und der Rechtsbeschwerde hat er ausgeführt, die Rechtsbeschwerde sei zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Es existiere bislang keine abschließende Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm zur grundsätzlichen Rechtsfrage, ob ein Taschenrechner als elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation bzw. der Unterhaltungselektronik oder der Ortsbestimmung dient bzw. dienen soll unter § 23 Abs. 1a StVO falle. Bislang habe lediglich der 4. Strafsenat durch Beschluss vom 15.08.2019, Az. III - 4 RBs 191/19, die Rechtsfrage zur Gleichsetzung eines Taschenrechners mit einem Mobiltelefon im Wege der Divergenzvorlage gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Prüfung und Entscheidung vorgelegt. Die Annahme, dass auch ein Taschenrechner Informationszwecke erfülle, sei so fernliegend, dass durch eine Annahme desselben jedenfalls die Grenze des auch im Bußgeldrecht bestehenden Analogieverbots überschritten werden würde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 02.07.2020 beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zuzulassen und die Sache entsprechend § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof vorzulegen, hilfsweise die Sache bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der Sache III - 4 RBs 191/19 OLG Hamm auszusetzen.

Der Betroffene hat von der ihm bzw. seinem Verteidiger eingeräumten Möglichkeit zur Erwiderung keinen Gebrauch gemacht.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1.

Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 80 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, Abs. 2 Nr. 1, 80 a Abs. 3 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das angefochtene Urteil zur Fortbildung des materiellen Rechts nachzuprüfen. Eine Rechtsbeschwerde kann zur Fortbildung des Rechts zugelassen werden, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen (BGH, Beschluss vom 12.11.1970 - 1 StR 263/70 = NJW 1971, 389, beck-online; BeckOK OWiG/Bär, 26. Ed. 1.4.2020, OWiG § 80 Rn. 6 m.w.N.). Die Fortbildung des Rechts kommt nur bei Rechtsfragen in Betracht, die entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und abstraktionsfähig...

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