Leitsatz (amtlich)

1. Das Abdecken von Versorgungsleitungen auf Jahrmärkten und anderen Großveranstaltungen mit Matten kann grundsätzlich zur Wahrung der Verkehrssicherungspflicht genügen.

2. Es begründet aber eine eigenständige - hier verletzte - Verkehrssicherungspflicht, wenn die Abdeckmatten selbst eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle darstellen, weil sie im Randbereich wellig sind / vom Boden abstehen und von in dichtem Gedränge aus einem großen Fußballstadion strömenden Zuschauern kaum wahrzunehmen sind.

3. Die Delegation einer Verkehrssicherungspflicht kann - wie hier von Seiten des veranstaltenden Vereins - auch faktisch erfolgen, wenn die Übertragung gleichwohl derart klar und eindeutig ist, dass eine Ausschaltung von Gefahren zuverlässig sichergestellt ist.

4. Seiner Kontroll- und Überwachungspflichten kann der Delegierende im Einzelfall - so hier - nachkommen, wenn er das Verlegen der Abdeckmatten kontrolliert und keine Anhaltspunkte dafür hat, dass von Seiten des Delegierten ungeeignete Abdeckmatten verwendet werden.

5. Eine freiwillige Leistung des Delegierenden muss sich der Geschädigte nicht im Wege des Vorteilsausgleichs auf seine Ansprüche gegen den Delegierten anrechnen lassen.

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Aktenzeichen 4 O 150/18)

 

Tenor

Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung der Beklagten durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie nach der übereinstimmenden Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.

Die Beklagte erhält Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

 

Gründe

Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Auch nach übereinstimmender Auffassung des Senats haftet die Beklagte dem Kläger unter dem Aspekt der Verkehrssicherungspflichtverletzung dem Grunde nach auf materiellen und immateriellen Schadensersatz nach einer Quote von mindestens 2/3. Zutreffend wurde erstinstanzlich dementsprechend folgerichtig zudem die Haftung der Beklagten für weitere materielle und unvorhersehbare immaterielle Schäden aufgrund des Unfallereignisses vom 00.00.2017 in einem Umfang von 2/3 festgestellt.

Die Einwendungen der Beklagten, bezüglich derer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Berufungsbegründung vom 29.04.2020 (Bl. 336-344 d.A.) Bezug genommen wird, rechtfertigen keine andere Entscheidung. Im Einzelnen:

1. Das Landgericht hat zulässig in der Form des Teilgrund- und Teilendurteils entschieden.

Die lediglich verfahrensfehlerhafte Bezeichnung als "Grund- und Teilurteil" schadet nicht, denn der Wille des Landgerichts, über den streitigen materiellen und immateriellen Schaden dem Grunde nach und über den Feststellungsanspruch abschließend durch Endurteil zu entscheiden, kommt sowohl im Urteilstenor als auch in den Entscheidungsgründen hinreichend deutlich zum Ausdruck (vgl. etwa BGH, Urteil vom 02.12.2003 - VI ZR 349/02 - juris Rn. 9).

2. Die Klage ist insgesamt zulässig. Bedenken bestehen insbesondere nicht im Hinblick auf das erforderliche Feststellungsinteresse. Der Kläger hat nach seiner Behauptung sturzbedingt Gesichts- und Knieverletzungen erlitten, eine Narbenkorrekturoperation droht. Damit hat er sein Feststellungsinteresse ausreichend dargelegt.

3. Die Klage ist zum Klageantrag zu 1. zumindest in dem aus dem Tenor des angefochtenen Urteils ersichtlichen Umfang begründet.

Die Beklagte haftet dem Kläger auf der Basis des erstinstanzlich festgestellten Sachverhalts aus §§ 823 Abs. 1, 31 BGB bzw. gem. § 831 BGB dem Grunde nach auf materiellen Schadenersatz und Schmerzensgeld.

a) Nach § 529 Abs. 1 S. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung an diese Feststellungen entfallen lassen, können sich aus erstinstanzlichen Verfahrensfehlern ergeben. Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn die Beweiswürdigung nicht den Anforderungen genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn sie unvollständig oder in sich widersprüchlich ist oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen können sich außerdem aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht die Beweisaufnahme anders würdigt als die Vorinstanz. Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet (BGH, Urteil vom 11.10.2016, VIII ZR 300/15, Rn. 24; Urteil vom 21.06.2016, VI ZR 403/14, Rn. 11). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall:

aa) Dass der Kläger am 00.00.2017 g...

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