Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung und Zurückverweisung des Scheidungsverbundbeschlusses eines deutschen Familiengerichts bzgl. einer im Libanon vor einem Scharia-Gericht geschlossenen Ehe wegen anderweitiger Rechtshängigkeit im Hinblick auf einen zeitlich vorrangig eingereichten und zugestellten Ehescheidungs- und Abendgabe-Antrag vor dem Scharia-Gericht im Libanon

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit ist im Ehescheidungsverfahren in allen Instanzen ein von Amts wegen unabhängig von etwaigen Anträgen oder Verfahrensrügen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis, sodass ein Scheidungsverbundbeschluss im Beschwerdeverfahren auch ohne ausdrücklichen Antrag in entsprechender Anwendung der §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, S. 3 ZPO aufgehoben und das Verfahren zur erforderlichen dortigen Aussetzung an das Familiengericht zurückverwiesen werden kann.

2. Die anderweitige Rechtshängigkeit wegen eines im Libanon vor dem Scharia-Gericht zeitlich vorrangig eingereichten und zugestellten Ehescheidungs- und Abendgabe-Antrags gegenüber dem (vom selben Ehegatten) später anhängig und rechtshängig gemachten Ehescheidungsverbundverfahren vor dem deutschen Familiengericht folgt aus Art. 33, 34 des Luganer Übereinkommens bzw. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO analog.

3. Nach diesen Vorschriften ist gegenüber dem engen deutschen Rechtshängigkeits- und zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff (identischer Sachantrag und Lebenssachverhalt) zur Vermeidung unvereinbarer gerichtlicher Kollisionen bei der Beurteilung der zwischenstaatlichen anderweitigen Rechtshängigkeit ein einheitlicher, den Begriff des "prozessualen Anspruchs" autonom auslegender weiter Verfahrensgegenstandsbegriff geboten, wonach es entscheidend darauf ankommt, ob bei wertender Betrachtung der "Kernpunkt" beider Verfahren der Gleiche ist. Ein vor dem Familiengericht rechtshängiges verschuldensunabhängiges Ehescheidungsverfahren nach den §§ 1564 ff. BGB beruht insoweit auf dem gleichen Kernpunkt wie ein schon zuvor im Libanon vor dem dortigen Scharia-Gericht rechtshängig gewordenes, von der Ehefrau wegen nachgewiesenen Verschuldens des Ehemannes beantragtes Ehescheidungs- und Abendgabe-Verfahren nach den Art. 337-345 des Libanesischen Familiengesetzes vom 16.07.1962.

 

Normenkette

FamFG § 113 Abs. 1 S. 2, § 117 Abs. 2; ZPO § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, § 538 S. 3, § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1, 3 Nr. 1; Brüssel-IIa-Verordnung Art. 3a; BGB §§ 1564, § 1565 ff.; libanesisches Familiengesetz von 1917 Art. 337-345 Fassung: 1962-07-16; EuGVVO Art. 29 ff.; Luganer Übereinkommen Art. 33-34

 

Verfahrensgang

AG Herne (Beschluss vom 12.05.2016; Aktenzeichen 31 F 258/15)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners vom 15.06.2016 wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Herne vom 12.05.2016 (Az.: 31 F 258/15) mitsamt dem zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das AG - Familiengericht - Herne zurückverwiesen.

II. Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens soll das Familiengericht mit seinem verfahrensbeendenden Beschluss entscheiden.

III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,00 EUR (Ehescheidung: 3.000,00 EUR; Versorgungsausgleich: 1.000.00 EUR) festgesetzt.

IV. Dem Antragsgegner wird rückwirkend ab Antragstellung für das Beschwerdeverfahren ratenzahlungsfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Frau F aus E bewilligt, §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 114 Abs. 1 S. 1 ZPO.

V. Der Antragstellerin wird rückwirkend ab Antragstellung für die Verteidigung gegen die Beschwerde ratenzahlungsfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt T aus C bewilligt, §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 114 Abs. 1 S. 1, 119 Abs. 1 S. 2 ZPO

 

Gründe

A. Der Senat entscheidet wie in seinen Hinweisverfügungen angekündigt im schriftlichen Verfahren gem. § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG, da eine mündliche Verhandlung im ersten Rechtszug bereits erfolgt ist und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse im vorliegenden, im Wesentlichen Rechtsfragen betreffenden Beschwerdeverfahren zu erwarten sind.

B. Die gem. den §§ 58 ff., 117 FamFG zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist nach dem schriftlichen Vorbringen der Beteiligten einschließlich der vom Senat eingeholten amtlichen Übersetzungen insoweit begründet, als der angefochtene Scheidungsbeschluss gem. den §§ 117 Abs. 2 S. 1 FamFG, 538 Abs. 2 ZPO aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückzuverweisen ist. Hierzu bedurfte es ausnahmsweise in entsprechender Anwendung der §§ 117 Abs. 2 S. 1 FamFG, 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, S. 3 ZPO keines ausdrücklichen Antrages des Beschwerdeführers. Bei dem aus den nachfolgenden Gründen durchgreifenden, der wirksamen Ehescheidung durch den angefochtenen Beschluss entgegenstehenden Einwand der doppelten Rechtshängigkeit gem. den §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 261 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (analog wegen des Auslandsbezugs ...

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