Orientierungssatz

Orientierungssatz:

Da der Zweck der Pflichtverteidigung auch darin besteht, einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, kann oder muss eine Auswechselung eines bestellten, terminlich verhinderten Pflichtverteidigers im Einzelfall geboten sein.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Entscheidung vom 15.04.2021; Aktenzeichen 627 KLs 8/21)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 27, vom 15. April 2021 wird als unbegründet verworfen.

2. Der Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

I.

Gegen den Beschwerdeführer hat das Amtsgericht Hamburg am 25. November 2020 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen wegen des dringenden Verdachts, in acht Fällen gemeinschaftlich mit weiteren Beschuldigten - davon in sieben Fällen als Mitglied einer Bande - mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben.

Aufgrund des Haftbefehls vom 25. November 2020 ist der Beschwerdeführer am 8. Dezember 2020 festgenommen worden Mit Beschluss des Ermittlungsrichters vom selben Tag ist ihm, seinem geäußerten Wunsch entsprechend, die im Rahmen der Zuführung anwesende Rechtsanwältin H. als notwendige Verteidigerin beigeordnet worden.

Seitdem befindet sich der Beschwerdeführer in Untersuchungshaft.

Mit Anklageschrift vom 16. März 2021, eingehend beim Landgericht am 22. März 2021, hat die Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer und fünf weitere Beschuldigte Anklage erhoben, wobei die dem Beschwerdeführer darin zur Last gelegten Taten den ihm Haftbefehl vom 25. November 2020 dargelegten Vorwürfen entsprechen.

Ein heranwachsender (neunzehnjähriger) Mitangeklagter befindet sich - wie der Beschwerdeführer - seit dem 8. Dezember 2020 in Untersuchungshaft in dieser Sache; gegen zwei weitere, in dieser Sache aufgrund erlassener Haftbefehle festgenommene Angeklagte ist insoweit Überhaft notiert.

Am 23. März 2021 hat der Vorsitzende der mit der Sache befassten Großen Strafkammer 27 die jeweiligen Zustellungen der Anklage verfügt; weiterhin hat er mitgeteilt, dass die Durchführung des Verfahrens voraussichtlich 30 Verhandlungstage in Anspruch nehmen werde und um Mitteilung sämtlicher terminlicher Verhinderungen der zum damaligen Zeitpunkt insgesamt fünf Verteidiger für das 2021, beginnend ab dem 8. Juni 2021 gebeten. Die Verteidigerin des Beschwerdeführers hat diese Anfrage unbeantwortet gelassen.

Nach einer am 9. April 2021 zwecks Abstimmung möglicher Hauptverhandlungstermine durchgeführten Besprechung der Kammermitglieder mit mehreren Verteidigern, an der dann auch die Verteidigerin des Beschwerdeführers teilgenommen hat, hat der Strafkammervorsitzende mit einem an die Verteidigerin des Beschwerdeführers gerichteten Schreiben mitgeteilt, dass die Kammer in Anbetracht der terminlichen Verhinderungen der Verteidigerin an vielen der als möglich erachteten Hauptverhandlungstage beabsichtige, dem Angeklagten einen anderen Pflichtverteidiger an ihrer Stelle beizuordnen. In diesem noch am 9. April 2021 über das besondere elektronische Anwaltspostfach sowie dem Beschwerdeführer formlos in Kopie übersandten Schreiben ist der Verteidigerin eine Frist zur Stellungnahme und gegebenenfalls Benennung eines neuen Verteidigers für ihren Mandanten gesetzt worden bis zum 15. April 2021, 12:00 Uhr.

Nach Fristablauf hat der Vorsitzende der Großen Strafkammer 27 mit Beschluss vom 15. April 2021 dem Beschwerdeführer anstelle seiner bisherigen Pflichtverteidigerin Rechtsanwalt He. als Verteidiger beigeordnet.

Der Beschluss über den Verteidigerwechsel ist Rechtsanwältin H. am 16. April 2020 zugestellt worden.

Dagegen hat der Angeklagte über seine entbundene Verteidigerin mit am 21. April 2021 beim Landgericht Hamburg eingehenden Schriftsatz unter Vorlage einer Wahlverteidigervollmacht sofortige Beschwerde erhoben.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde zu verwerfen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die - auch im Übrigen (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) zulässige - sofortige Beschwerde gegen den Verteidigerwechsel ist statthaft.

a) Gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers sind nach der seit dem 13. Dezember 2019 geltenden Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, die nach § 142 Abs. 7 Satz 2 StPO jedoch ausgeschlossen (unstatthaft) ist, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO stellen kann. Gemäß § 143a Abs. 4 StPO sind Beschlüsse über die Auswechslung des Verteidigers nach § 143a Abs. 1 bis 3 StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

b) Hier wendet sich der Beschwerdeführer gegen die vom Gericht mit terminlicher Verhinderung in der anzuberaumenden Hauptverhandlung begründete Auswechslung seiner bisher beigeordneten Verteidigerin gegen einen anderen Verteidiger; er begehrt ein Fortdauern ihrer Beiordnung. Dieses Bege...

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