Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollzug der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus bei unklarer Verhandlungsfähigkeit eines Angeklagten wegen einer wahrscheinlich bestehenden, aber mangels seiner Mitwirkung, nicht ohne Weiteres aufklär- und behandelbaren hochansteckenden Erkrankung

 

Normenkette

StPO § 121

 

Tenor

1. Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

2. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch das Hanseatische Oberlandesgericht findet in drei Monaten statt.

3. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Landgericht Hamburg übertragen.

 

Gründe

A.

Der Angeklagte befindet sich seit seiner polizeilichen Festnahme am 8. April 2015 (Bl. 54 d.A.) auf Grund des am Folgetag erlassenen Haftbefehls des Ermittlungsrichters in Untersuchungshaft. Am 16. Juli 2015 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Körperverletzung. Nach Ablauf einer - auf Wunsch des Verteidigers verlängerten - Stellungnahmefrist eröffnete das Schwurgericht das Hauptverfahren und ließ die Anklage mit der Maßgabe, dass der Angeklagte - mangels Tötungsvorsatzes lediglich - einer versuchten gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung hinreichend verdächtig ist vor einer allgemeinen Großen Strafkammer des Landgerichts zu. Mit der Eröffnungsentscheidung wurde der Haftbefehl neugefasst und am 3. September 2015 durch die nunmehr zuständige Große Strafkammer verkündet. Am 27. Oktober 2015 hat die Generalstaatsanwaltschaft die Akten dem Senat mit dem Antrag vorgelegt, gemäß §§ 121, 122 Abs. 1 StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.

B.

Die Untersuchungshaft gegen den Angeklagten dauert - als Ergebnis der an den strengen Maßgaben von §§ 121, 122 Abs. 1 StPO zu messenden Haftprüfung durch den Senat - fort.

I.

Der Angeklagte ist eines versuchten Tötungsdeliktes in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Körperverletzung (§ 212 Abs. 1, §§ 22, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, 22, § 222, 52 StGB) dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 StPO).

1. Folgende Urteilsfeststellungen werden sich anhand der derzeit aktenkundigen Beweismittel in der durchzuführenden Hauptverhandlung hochwahrscheinlich treffen lassen:

a) In der Nacht des 8. April 2015 kam es im Bereich vor der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel zu einer - zunächst nur verbalen sodann aber auch - körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen A-E. Der Angeklagte lebt seit mehreren Jahren in der dortigen - von Schwarzafrikanern wie Polen geprägten - Obdachlosenszene, nächtigt dort auf einer Matratze und verwahrt dort seine gesamte Habe.

b) Am Abend zuvor hatte der Angeklagte - wie sonst auch - alkoholische Getränke zu sich genommen. Ein um 3.15 Uhr durchgeführter Atemalkoholtest ergab einen AAK-Wert von 2,03 Promille.

c) Gegen 1:00 Uhr erreichte der Zeuge A-E die Schlafstätte des Angeklagten. Beide kennen sich seit Jahren und unterhalten eine bekanntschaftliche Beziehung. Der Zeuge vermisste seine Uhr (Bl. 44 d.A.) und befragte hierzu den Angeklagten sowie den dort anwesenden - ebenfalls obdachlosen - "Cuba", einen polnischen Bekannten des Angeklagten. Mit diesem geriet A-E in einen verbalen Streit.

d) Der noch auf seiner Matratze sitzende Angeklagte ergriff zugunsten des "Cuba" Partei, zog ein - dolchartiges - Messer mit einer Klingenlänge von etwa 14cm und setzte dieses sofort gegen den Zeugen A-E ein. Ein erster Stich erfolgte im Sitzen, nach vorn gebeugt, in Richtung des Zeugen (Bl. 253 d.A.). Der Zeuge konnte dem Angriff ausweichen. Sodann rutschte der Angeklagte auf seiner Matratze in Richtung des Zeugen nach vorn, stand auf und folgte dem - die Treppen rückwärts abwärts flüchtenden - Zeugen. Noch auf den Stufen - oberhalb des Zeugen stehend - hat der 197cm lange und etwa 100kg schwere Angeklagte mehrfach versucht, mit dem Messer nach dem Zeugen zu stechen (Bl. 253 d.A.), wobei zumindest ein Messerstreich derart dicht vor dem Gesicht des Zeugen geführt wurde, dass dieser nur durch einen Reflex ausweichen konnte.

e) Am unteren Rand der Treppe angelangt, redeten Unbeteiligte auf den Angeklagten beschwichtigend ein. Auch der Zeuge S versuchte zu schlichten und stand dicht neben den beiden Kontrahenten. In diesem Moment führte der Angeklagte - hochwahrscheinlich mit bedingtem Tötungvorsatz - von oben nach unten mit der rechten Hand einen weiteren Messerstich in Richtung des Zeugen A-E (Bl. 129 d.A.). Hier oder bei einem der Stiche zuvor rief der Angeklagte dem Zeugen zu: "I will kill you!" und "I fuck you!".

f) Der Stich verfehlte zwar diesen Zeugen, wurde aber mit einer solchen Wucht, Geschwindigkeit (Bl. 130 d.A.) und Aggressivität (Bl. 131 d.A.) vollzogen, dass die messerführende Hand mit Schwung nach unten am eigenen Körper des Angeklagten vorbeisauste und den dicht neben beiden befindlichen Zeugen S in Höhe des Bauchraums traf. Die Wucht des dieserart fehlgehenden Stichs war derart groß, dass das Messer die Obe...

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