Entscheidungsstichwort (Thema)

VW-Dieselskandal: Anspruch des Käufers auf Lieferung eines typengleichen Neufahrzeugs, Nacherfüllung durch Aufspielen eines Software-Updates

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sieht der Kaufvertrag für den Verkäufer einen Änderungsvorbehalt bei herstellerseitigen Überarbeitungen des bestellten Fahrzeugs vor, spricht dies dafür, dass die Kaufvertragsparteien die Leistung des Verkäufers als austauschbar angesehen haben, so dass keine Unmöglichkeit der Ersatzlieferung i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB besteht, wenn das ursprünglich bestellte Fahrzeug nach einem Modellwechsel nicht mehr hergestellt wird.

2. Der Verkäufer kann aber gegenüber der verlangten Nachlieferung eines mangelfreien fabrikneuen typengleichen Fahrzeugs die Einrede der Unverhältnismäßigkeit erheben, wenn im Zeitpunkt des Nachlieferungsverlangens bereits für die Nachbesserung ein vom Kraftfahrbundesamt genehmigtes Software-Update vorliegt, das die latent bestehende Gefahr einer Betriebsuntersagung beseitigt und dessen Kosten die der Ersatzlieferung um ein Vielfaches unterschreiten. Nachteilige Wirkungen des Software-Updates sind nach dem gegenteiligen Prüfungsergebnis des Kraftfahrtbundesamtes konkret darzulegen, wobei in Ansatz zu bringen ist, dass der Käufer bei einer Mangelbeseitigung, die einen weiteren Mangel verursacht, weiterhin Nacherfüllung verlangen kann.

 

Normenkette

BGB §§ 275, 434, 437 Nr. 1, § 439; FZV § 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Hanau (Urteil vom 08.03.2019; Aktenzeichen 1 O 502/17)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 08.03.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Hanau (Az.: 1 O 502/17) abgeändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger hat nach dem Kauf eines Pkws gegen die Beklagte einen gewährleistungsrechtlichen Nachlieferungsanspruch geltend gemacht.

Die Beklagte ist eine unabhängige Händlerin, welche Fahrzeuge der Marke Volkswagen vertreibt. Sie ist nicht befugt, die Volkswagen AG beim Abschluss von Kaufverträgen zu vertreten. Es handelt sich bei der Beklagten und der Volkswagen AG um rechtlich selbständige Unternehmen, die auf unterschiedlichen Märkten tätig sind und voneinander unabhängige Interessen verfolgen.

Der Kläger erwarb gemäß verbindlicher Bestellung vom 07.09.2013 bei der Beklagten einen neuen VW Touran Comfortline BlueMotion, 2,0 l TDI 103 kW zum Kaufpreis von 31.500,01 EUR (Anlage JFM 1, 2 = Bl. 53 f. d.A.). Es wurden die Neuwagen-Verkaufsbedingungen (Anlage JFM 8 = Bl. 257 f. d.A.) einbezogen. Das Fahrzeug wurde am 18.10.2013 übergeben.

Das vom Kläger gekaufte Fahrzeug war mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Die Motorsteuerung des Motors war ursprünglich so programmiert, dass im Falle des Durchlaufens des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ), welcher Teil des Typgenehmigungsverfahrens ist, die Abgasrückführung in einen NOx-optimierten Betriebsmodus (Modus 1) versetzt wird, während sie außerhalb des NEFZ im Straßenverkehr im nicht NOx-optimierten Betriebsmodus (Modus 0) operiert. Im Modus 0 ist die Abgasrückführungsrate geringer.

Das Kraftfahrbundesamt (KBA) ordnete mit Bescheid vom 15.10.2015 gegenüber der Fahrzeugherstellerin, der Volkswagen AG, einen verpflichtenden Rückruf für sämtliche betroffene Fahrzeuge mit diesem Dieselmotor und zur Entfernung der Abschalteinrichtung an. Gleichzeitig teilte es in einer Presseerklärung öffentlich mit, dass es sich bei der verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele und der Volkswagen AG auferlegt worden sei, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge zu ergreifen (Anlage JFM 4 = Bl. 57 d.A.). In der Folge entwickelte die Fahrzeugherstellerin ein Software-Update für die betroffenen Motoren, durch das das Abgasrückführungssystem dahin überarbeitet wird, dass die Abgasrückführung nur noch in einem einheitlichen Betriebsmodus arbeitet und der Verbrennungsprozess durch eine Anpassung der Einspritzcharakteristik optimiert wird. Das KBA gab mit Bestätigung vom 20.06.2016 die zur Beseitigung entwickelte Maßnahme (Software-Update) für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp frei. In dem Schreiben (Anlage B 6) heißt es u.a.:

"mit Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) ... vom 14.10.2015 wurde die Volkswagen AG verpflichtet, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Aggregat EA 189 EU5 die unzulässige Abschalteinrichtung zu entfernen. Weiterhin wurde die Volkswagen AG verpflichtet, den Nachweis zu führen, dass nach Entfernen der unzulässigen Abschalteinrichtung alle technischen Anforderungen der relevanten Einzelrechtsakte der Richtli...

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