Entscheidungsstichwort (Thema)

Weisungsunabhängigkeit des Vorstandes und zu den Heilungsvoraussetzungen bei zunächst unzulässiger Vertretung der AG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der unternehmerische Ermessensspielraum des AG-Vorstandes erlaubt ein Handeln gegen die Interessen eines (Haupt-)Aktionärs der AG.

2. Erklärt im Laufe des Prozesses der AG gegen einen vormaligen Vorstand des Aufsichtsrats, er - der Aufsichtsrat - trete in den Prozess ein und genehmige die bisherige Prozessführung durch den Vorstand, ist der Vertretungsmangel geheilt.

 

Normenkette

AktG §§ 93, 112

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Urteil vom 01.06.2010; Aktenzeichen 16 O 267/09)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 1.6.2010 verkündete Urteil des Vorsitzenden der 4. Kammer für Handelssachen des LG Darmstadt mit Sitz in Offenbach am Main abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Kosten wegen durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zzgl. 15 % hieraus abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zzgl. 15 % hieraus leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin berühmt sich gegenüber dem Beklagten, ihrem früheren (Mit)-Vorstand und Mitgesellschafter, vor dem Hintergrund, dass dieser in Kenntnis seiner alsbaldigen Abberufung als Vorstand am 27.7.2006 - die Abberufung des Beklagten erfolgte am 28.7.2006 - noch einen Beratungsvertrag mit einem externen Dienstleister mit einer Laufzeit bis zum 31.12.2007 abschloss, eines auf § 93 Aktiengesetz gestützten Schadensersatzanspruchs.

Mit am 1.6.2010 verkündetem Urteil (Bl. 297 ff. d.A.), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, hat der Vorsitzende der 4. Kammer für Handelssachen des LG Darmstadt mit Sitz in Offenbach am Main den Beklagten antragsgemäß zu einer Schadensersatzleistung i.H.v. EUR 281.034,28 nebst Zinsen verurteilt. In den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils wird u.a. ausgeführt, der Beklagte habe pflichtwidrig gehandelt, weil er den verfahrensgegenständlichen Beratungsvertrag im Alleingang, ohne vorherige "informelle Rücksprache mit dem Aufsichtsrat zu nehmen", abgeschlossen habe, wozu er aufgrund der besonderen Situation im Unternehmen verpflichtet gewesen wäre. Dem Beklagten hätte klar sein müssen, dass aufgrund der Veränderungen in der Struktur der Gesellschafter eine Verlängerung der Zusammenarbeit mit dem externen Dienstleister nicht die Zustimmung des neuen Mehrheitsaktionärs finden würde, der den Aufsichtsrat dominiere. Dem Beklagten, der selbst mit dem externen Dienstleister versucht habe, die Mehrheit der Aktien zu bekommen, sei bekannt gewesen, dass seine Abberufung als Vorstandsmitglied unmittelbar bevor gestanden habe und der neue Vorstand einen Vertrag mit dem Externen sofort kündigen würde, was dieser selbst in seiner persönlichen Erklärung vom 3.8.2006 eingeräumt habe. Dem Beklagten sei es letztlich auch verwehrt, sein Verhalten damit zu rechtfertigen, dass er durch den Abschluss des hier zur Beurteilung anstehenden Vertrages eine dem Unternehmen angekündigte schädliche Pressemitteilung verhindert habe, wozu er von dem Aufsichtsrat angehalten worden sei. Nach den Vorgaben des Aufsichtsrates habe der Beklagte presserechtliche und wettbewerbsrechtliche Schritte prüfen sollen, nicht aber zur Unterbindung der angekündigten Pressemitteilung einen Vertrag schließen dürfen. Der Beklagte habe durch den Vertragsabschluss kurz vor seiner Abberufung als Vorstandsmitglied der Klägerin, sprichwörtlich ausgedrückt, "ein Kuckucksei ins Nest gelegt". Der Beklagte habe damit sein Interesse als Gesellschafter, der mit dem Versuch gescheitert sei, eine Mehrheitsbeteiligung zu erwerben, über seine Pflichten als Vorstand gestellt, der die Gesamtinteressen der Gesellschaft zu berücksichtigen habe.

Gegen das vorstehende und ihm am 4.7.2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit bei Gericht am 23.7.2010 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und sein Rechtsmittel nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 6.9.2010 mit bei Gericht am 6.9.2010 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Beklagte hält vorab seine Einrede aufrecht, die Klage sei vor dem Hintergrund unzulässig, dass in der Klageschrift verlautbart werde, die Klägerin werde durch ihren Vorstand vertreten und es sei nicht ausreichend, wenn später der Aufsichtsrat erkläre, er billige die erhobene Klage.

In der Sache wiederholt der Beklagte seine bereits erstinstanzlich vorgetragenen Argumente und trägt im Kern vor, ihm sei schon deshalb keine Pflichtverletzung vorzuwerfen, weil der von ihm namens der Klägerin abgeschlossene Vertrag nicht der Zustimmung durch den Aufsichtsrat bedurft hätte. Die Frage, wann und unter welchen Umständen er als Vorstand abberufen werden würde, sei damals rein spekulativer Natur gewesen. Dass ihm die beabsichtigte sofortige Entpfli...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge