Entscheidungsstichwort (Thema)

Äußerungsrecht: Deutung einer Aussage ist Meinungsäußerung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Deutung einer Aussage einer die Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen hinterfragenden Person stellt eine Meinungsäußerung dar. Als Bestandteil des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage ist diese Meinungsäußerung nicht rechtswidrig.

 

Verfahrensgang

LG Hanau (Urteil vom 28.04.2021; Aktenzeichen 2 O 391/21)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hanau vom 28.4.2021, Az. 2 O 391/21, wird zurückgewiesen.

Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

 

Gründe

I. Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO i.V.m. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO abgesehen.

II. Die Berufung der Verfügungsklägerin (nachfolgend Klägerin) ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511, 517, 519 ZPO).

In der Sache hat sie keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht den Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mangels Verfügungsanspruchs zurückgewiesen.

Der Klägerin steht kein Unterlassungsanspruch § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGBzu, denn ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 2, Art. 1 Abs. 2 GG) wurde durch die angegriffene Äußerung nicht rechtswidrig verletzt.

1. Entgegen der Ansicht der Berufung handelt es sich bei der Äußerung der Verfügungsbeklagten (nachfolgend Beklagte) vom 1.3.2021 auf der Internetseite der Initiative "X Stadt1" (vgl. Anlage 3) nicht um eine Tatsachenbehauptung. Vielmehr ist diese bei Zugrundelegung des Gesamtkontextes als Meinungsäußerung zu qualifizieren, die dem Schutzbereich des Art. 5. Abs. 1 GG unterfällt.

a. Ohne Erfolg rügt die Berufung, dass das Landgericht seiner Würdigung eine Äußerung zugrunde gelegt hat, die die Beklagte bei zutreffender Sinndeutung nicht aufgestellt und verbreitet hat.

aa. Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Für die Ermittlung des objektiven Sinngehalts ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Fernliegende Deutungen sind auszuschließen [st. Rspr. vgl. BGH Urt. v. 26.1.2021 - VI ZR 437/19 - mwN].

bb. Nach diesen für die Ermittlung des Aussagegehaltes einer Äußerung maßgeblichen Grundsätzen ist der angegriffenen Äußerung in dem Gesamtzusammenhang des Textes der Sinngehalt zu entnehmen, dass die Beklagte und Herr A als Initiatoren und Sprecher der Initiative "X" ihr Verständnis des von der Klägerin in Reaktion auf die Anzeige ihrer unangemeldeten Montagstreffen veröffentlichten Gedichts "B" wiedergeben.

Die streitgegenständliche Äußerung befindet sich in einem auf der Internetseite der Initiative "X" veröffentlichten Text, welche sich als Gegenbewegung zu der von der Klägerin mitinitiierten Initiative "Y" versteht. Darin wird die Klägerin von der Beklagten und Herrn A in ihrer Funktion als Initiatoren von "X" zunächst direkt als Anmelderin der "Querdenker"-Aufmärsche in Stadt1 angesprochen und verschiedene Forderungen an sie erhoben. Hierzu gehört auch, sich gegenüber den Bürgern von Stadt1 öffentlich zu erklären, was sie mit ihrem nach der subjektiven Bewertung von der Beklagten und Herrn A "unfassbaren" Statement in den sozialen Medien sagen wollte. Durch diese der streitgegenständlichen Äußerung unmittelbar vorausgehende Aufforderung wird für den unvoreingenommenen Durchschnittsrezipienten deutlich, dass aus dem Wortlaut des Statements, auf welches sich die angegriffene Äußerung bezieht, für die Beklagte und Herrn A gerade nicht eindeutig hervorgeht, was die Klägerin damit zum Ausdruck bringen möchte, andernfalls es der ausdrücklich von ihnen eingeforderten öffentlichen Erklärung nicht bedurft hätte. In diesem Kontext versteht der Leser die angegriffene Äußerung dahingehend, dass diese die Deutung seitens der Beklagten und Herrn A wiedergibt. Dass es hierbei um deren Lesart geht, wird dem Leser zusätzlich durch die Formulierung "sinngemäß" verdeutlicht.

Demnach wird der Klägerin nicht, wie sie befürchtet, in der Öffentlichkeit eine Äußerung "in den Mund gelegt", die sie so nicht getan hat. Vielmehr enthält die angegriffene Äuß...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge