Leitsatz (amtlich)

1. Ein Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist besteht nicht, wenn der Vorsitzende den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt hat, weil dem Antrag auch nicht im Wege der Auslegung zu entnehmen war, bis zu welchem Fristende die Verlängerung begehrt wurde.

2. Die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist ist nicht gerechtfertigt, wenn der Antrag auf Verlängerung der Frist zwar einen rechtfertigenden erheblichen Grund angeführt hat, der im Allgemeinen die Verlängerung der Frist erwarten ließ, die geltend gemachten Gründe jedoch nicht vorlagen.

 

Normenkette

ZPO §§ 233-234, 520

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 3/1 O 106/01)

 

Tenor

Der Antrag der Beklagten vom 24.5.2002 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten gegen das am 4.3.2002 verkündete Teilurteil der 1. Kammer für Handelssachen des LG Frankfurt am Main wird auf ihre Kosten verworfen.

 

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist gem. § 522 Abs. 1 S. 2, 3 ZPO n.F. als unzulässig zu verwerfen, weil die Beklagte die Berufung nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet hat. Nach § 520 Abs. 2 ZPO n.F. beträgt die Frist für die Berufungsbegründung zwei Monate, beginnend mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, die am 6.3.2002 erfolgte. Die Berufungsbegründung hätte somit am 6.5.2002 bei Gericht eingehen müssen. Tatsächlich ist eine Berufungsbegründung jedoch erst am 27.5.2002 angebracht worden.

Zwar kann die Frist für die Berufungsbegründung auf Antrag vom Vorsitzenden verlängert werden (§ 520 Abs. 2 S. 2, 3 ZPO n.F.). Eine derartige Verlängerung ist der Berufungsklägerin jedoch nicht gewährt worden. Der auch für die Ablehnung der Verlängerung zuständige Vorsitzende (BGH MDR 2001, 951; abw. Zöller/Stöber, 23. Aufl. 2002, § 225 ZPO Rz. 3) hat ihren am 6.5.2002 eingegangenen Verlängerungsantrag mit Verfügung vom 7.5.2002 unanfechtbar (§ 225 Abs. 3 ZPO) zurückgewiesen.

Nachdem der Berufungsklägerin die Ablehnung der Verlängerung bekannt gegeben worden war, hat sie zwar mit am 27.5.2002 bei Gericht eingegangenem Antrag vom 24.5.2002 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist begehrt.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist statthaft (§ 233 ZPO) und auch i.Ü. zulässig, insb. fristgerecht innerhalb einer zweiwöchigen Frist (§ 236 ZPO) angebracht worden. Da ein förmlicher Nachweis über die Zustellung der Verfügung vom 7.5.2002 nicht vorliegt, ist davon auszugehen, dass der Zugang beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten, wie von diesem angegeben, erst am 17.5.2002 erfolgte. Die ungewöhnliche Verzögerung des Postlaufs kann ihre Erklärung darin finden, dass die Kanzlei die Anschrift des Prozessbevollmächtigten nicht korrekt eingesetzt hat. Selbst wenn die Frist bereits mit der telefonischen Mitteilung vom 13.5.2002, dass der Verlängerungsantrag zurückgewiesen worden sei, in Gang gesetzt worden wäre, wäre der Antrag auf Wiedereinsetzung noch fristgerecht angebracht worden.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist jedoch nicht begründet, weil die Beklagte nicht ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist zur Berufungsbegründung einzuhalten (§ 233 ZPO).

Die Rspr., wonach ein Rechtsmittelführer im Wiedereinsetzungsverfahren nicht mit Erfolg geltend machen könne, er habe mit der Fristverlängerung durch den Vorsitzenden rechnen dürfen, sondern sei mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende in Ausübung seines Ermessens eine beantragte Verlängerung auch dann versage, wenn die dafür erforderlichen Voraussetzungen vorlägen (BGH NJW 1993, 134; NJW 1999, 430; v. 24.6.1999 – V ZB 19/99, MDR 1999, 1285 = NJW 1999, 3271), gilt nicht uneingeschränkt. Er erfährt aus Gründen einer rechtsstaatlichen fairen Verfahrensgestaltung u.a. dann eine Ausnahme, wenn der Rechtsmittelführer mit großer Wahrscheinlichkeit die Bewilligung der Fristverlängerung erwarten konnte. Das ist regelmäßig bei einem ersten Verlängerungsantrag der Fall, wenn ein ihn rechtfertigender erheblicher Grund geltend gemacht wurde (BVerfG v. 10.8.1998 – 1 BvR 10/98, MDR 1998, 1364 = NJW 1998, 3703 f.; NJW 2000, 1634 f.; v. 25.9.2000 – 1 BvR 464/00, MDR 2001, 286 = NJW 2001, 812 f.; BGH NJW 1993, 134 f.; v. 24.10.1996 – VII ZB 25/96, MDR 1997, 191 = NJW 1997, 400; v. 20.10.1997 – II ZR 334/96, MDR 1998, 557 = NJW-RR 1998, 573 f.; NJW 1999, 430; Musielak/Ball, 3. Aufl. 2002, § 520 ZPO Rz. 13; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 520 ZPO Rz. 19).

Darauf kann sich die Beklagte aber aus zwei voneinander unabhängigen Gründen hier nicht berufen.

Zum einen konnte die Beklagte deshalb nicht mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten, dass ihrem Verlängerungsantrag stattgegeben werde, weil sich aus ihm auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen ließ, bis zu welchem Datum die Frist verlängert werden sollte. Die Beklagte hatte lediglich „kurzfristig um Verlä...

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