Entscheidungsstichwort (Thema)

Absehen von Fahrverbot bei besonderer Härte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Erfüllung des Tatbestandes des § 4 Abs. 1 in Verbindung mit Nr. 11.3.7 BKatV indiziert einen Pflichtverstoß im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, was regelmäßig die Verhängung eines Fahrverbotes zur Folge hat.

2. Nur dann, wenn der Sachverhalt durch wesentliche Besonderheiten gekennzeichnet ist, die für den Betroffenen persönlich eine außergewöhnliche Härte darstellen, kann von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden.

3. Der Verlust des Arbeitsplatzes sowie ein drohender Existenzverlust des Betroffenen können im Einzelfall eine unverhältnismäßige Härte darstellen und eine Ausnahme von der Verhängung eines Fahrverbotes rechtfertigen.

4. Die Annahme eines Ausnahmefalles bedarf jedoch einer ausführlichen Begründung sowie einer Darlegung der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachen durch das Tatgericht; die kritiklose Übernahme der Einlassung des Betroffenen oder bloße Vermutungen seitens des Tatgerichtes genügen diesen Anforderungen nicht.

 

Verfahrensgang

AG Wiesbaden (Entscheidung vom 25.11.2021; Aktenzeichen 66 OWi - 5791 Js 27664/21)

 

Tenor

1. Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an dieselbe Abteilung des Amtsgericht Wiesbaden zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Regierungspräsidium Kassel hat mit Bußgeldbescheid vom 03.05.2021 gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 160,00 Euro wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h festgesetzt und - verbunden mit einer Anordnung gem. § 25 Abs. 2a StVG - ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Auf seinen Einspruch hin hat das Amtsgericht Wiesbaden gegen den Betroffenen mit Urteil vom 25.11.2021 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h eine Geldbuße von 320,00 Euro festgesetzt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Wiesbaden ist der

„Betroffene […] am XX.XX.1985 geboren. Er ist verheiratet und (…) Staatsangehöriger. Er ist Berufskraftfahrer. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse sind geordnet. Er verdient 2.300 € netto monatlich und hat zwei Kinder im Alter von … und … Jahren. Der Betroffene arbeitet erst seit dem 01.10.2021 bei seinem aktuellen Arbeitgeber und befindet sich noch in der Probezeit, sodass er ohne Begründung gekündigt werden kann, was zu befürchten ist, wenn gegen ihn ein Fahrverbot festgesetzt wird. Das Fahreignungsregister enthält keine Eintragungen zu Lasten des Betroffenen.

Der Betroffene befuhr am 02.04.2021 um 09:17Uhr in Stadt1 mit dem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … die A …, km 150,357, in Fahrtrichtung Stadt2. Die an dieser Stelle zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 100km/h, angeordnet durch Verkehrszeichen 274.

Infolge von Unachtsamkeit überschritt der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 43 km/h. Statt der erlaubten 100 km/h fuhr er mindestens 143 km/h. […].“

Zur Begründung des Rechtsfolgenausspruchs führt das Amtsgericht aus:

„Der Bußgeldkatalog sieht für Verstöße wie den vorliegenden eine Regelgeldbuße von 160 € und ein einmonatiges Regelfahrverbot vor. Wird von der Anordnung eines Fahrverbots ausnahmsweise abgesehen, so soll das für den betreffenden Tatbestand als Regelsatz vorgesehene Bußgeld angemessen erhöht werden, § 4 Abs. 4 BKatV. Von vorstehend genannter Möglichkeit wurde vorliegend Gebrauch gemacht. Statt ein Fahrverbot zu verhängen, wurde die Regelgeldbuße vorliegend auf 320 € erhöht und somit verdoppelt. Das ausnahmsweise Absehen vom Fahrverbot beruht auf den unter I. aufgeführten Erwägungen zur beruflichen Tätigkeit des Betroffenen und zu seiner in diesem Zusammenhang noch bestehenden Probezeit. Da der Betroffene in der derzeit laufenden Probezeit ohne nähere Begründung des Arbeitgebers und ohne wesentliche rechtliche Hürden entlassen werden kann und in der Probezeit in der Regel kein Urlaub genommen werden darf, stellt das vorliegend grundsätzlich vorgesehene Regelfahrverbot eine besondere Härte für den Betroffenen dar, die insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Ersttäter handelt, unverhältnismäßig ist.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die nach § 79 Abs.1 S.1 Nr. 3 OWiG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und ebenso mit der Sachrüge begründete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Wiesbaden, welcher die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main beigetreten ist. Die Rechtsbeschwerde wendet sich gegen die Nichtanordnung eines Fahrverbots und damit gegen den Rechtsfolgenausspruch.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

1. Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Amtsgericht Wiesbaden hat ohne tragfähige Begründung auf der Rechtsfolgenseite von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen. Aus den...

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