Leitsatz (amtlich)

§ 35 EGZPO ist in Kindschaftssachen im Wege der teleologischen Reduktion nicht anzuwenden, wenn und soweit Deutschland ansonsten seiner völkerrechtlichen Verpflichtung, die Bestimmungen der EMRK in der Auslegung des EuGHMR zur Kenntnis zu nehmen und auf den Fall anzuwenden, andernfalls nicht nachkommen könnte.

 

Verfahrensgang

AG Fulda

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 19.03.2014; Aktenzeichen XII ZB 511/13)

 

Tenor

Auf den Restitutionsantrag des Antragstellers werden der Beschluss des erkennenden Senats vom 9.2.2006, durch welchen die Beschwerde des Antragstellers gegen den seine Umgangsregelungs- und Auskunftsanträge zurückweisenden Beschluss des AG - Familiengericht - Fulda zurückgewiesen worden ist, aufgehoben und das Verfahren wieder aufgenommen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Antragsteller und die mit dem Antragsgegner verheiratete Antragsgegnerin unterhielten von ... 2002 bis ... 2003 eine außereheliche Beziehung. Im ... 2003 wurde die Antragsgegnerin schwanger.

Im ... 2003 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass sie die Ehe mit dem seit geraumer Zeit in England lebenden Antragsgegner fortsetzen und zusammen mit ihrer Tochter zu diesem ziehen werde, wo auch das noch ungeborene Kind aufwachsen solle, welches der Antragsgegner wie seinen eigenen Sohn behandeln werde. Die Antragsgegnerin zog im ... 2003 nach England.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 16.3.2004 ließ sie dem Antragsteller mitteilen, dass ihr Sohn X am ... 2004 in England auf die Welt gekommen sei, in der Geburtsurkunde der Antragsgegner als Vater eingetragen sei und die Vaterschaft nicht überprüft werden solle, vielmehr der Antragsgegner die uneingeschränkte Verantwortung für das Kind übernehmen und beibehalten wolle. Sie bitte um Verständnis dafür, dass die Antragsgegner jedenfalls derzeit und für die nächsten Jahre keine Kontaktaufnahme des Antragstellers zu dem Kind wünschten. Gelegentliche Berichte über den Werdegang des Kindes seien nicht ausgeschlossen, und die Übernahme der vollen Verantwortung durch die Antragsgegner bedeute, dass bis auf weiteres keine Unterhaltsansprüche für das Kind geltend gemacht würden. Mit anwaltlichen Schreiben vom 6.4.2004 und 27.9.2004 ließ die Antragsgegnerin dem Antragsteller Fotos und einen Entwicklungsbericht über das Kind übersenden.

Der Antragsteller hat von Anfang an Umgang mit X begehrt und am 24.8.2004 bei dem AG - Familiengericht - Berlin-Schöneberg, welches das Verfahren an das AG Fulda abgegeben hat, einen Antrag auf gerichtliche Regelung des Umgangs eingereicht.

Er hat ferner angetragen, die Antragsgegner mögen ihm gestatten, X zu Weihnachten, Geburtstag etc. Geschenke zu übersenden und ihn regelmäßig über die Entwicklung des Kindes informieren. Hierzu hat er behauptet, der leibliche Vater von X zu sein, und dass die Schwangerschaft geplant gewesen sei. Er und die Antragsgegnerin hätten einen gemeinsamen Kinderwunsch gehabt und beabsichtigt, zusammenzuziehen und das gemeinsame Kind zusammen mit der Tochter der Antragsgegnerin in Deutschland großzuziehen. Im Rahmen der Trennung habe die Antragsgegnerin ihm noch mündlich zugesichert, dass sie ihm das Besuchsrecht mit seinem Sohn gewähren werde; ferner sollte dem Kind auch mitgeteilt werden, wer sein leiblicher Vater sei.

Die Antragsgegner haben sich darauf berufen, dass nach den deutschen Gesetzen nicht der Antragsteller, sondern der Antragsgegner, der der Antragsgegnerin den "Seitensprung" verziehen habe, Vater von X sei, und sich mit der Einholung eines Abstammungsgutachtens nicht einverstanden erklärt.

Das AG - Familiengericht - Fulda war, weil das betroffene Kind die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und sämtliche Beteiligten die Zuständigkeit der deutschen Gerichte anerkannt hatten, gem. Art. 8 Abs. 2, 12 Abs. 3 EuEheVO international zuständig, und hat die Umgangsregelungs- und Auskunftsanträge mit Beschluss vom 20.10.2005 zurückgewiesen.

Die hiergegen fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers hat der Senat mit Beschluss vom 9.2.2006 zurückgewiesen und auf die damalige Gesetzeslage sowie auf die Rechtsprechung des BVerfG verwiesen. Die daraufhin von dem Antragsteller angebrachte Anhörungsrüge und hilfsweise Gegenvorstellung hat der Senat mit Beschluss vom 18.4.2006 zurückgewiesen.

Die gegen die gerichtlichen Entscheidungen gerichtete Verfassungsbeschwerde, mit welcher der Antragsteller die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 6. Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit 20 Abs. 3 GG sowie seines Menschenrechts aus Art. 8 EMRK gerügt hat, ist vom BVerfG mit Beschluss vom 20.9.2006 (Aktenzeichen: 1 BvR 1337/06, FamRZ 2006, 1661 f.) mangels Erfolgsaussichten nicht zur Entscheidung angenommen worden.

Der Antragsteller hat daraufhin Individualbeschwerde vor dem EuGHMR erhoben, der mit Urteil vom 15.9.2011 (Aktenzeichen: 17080/07, FamRZ 2011, 1715 ff.) festgestellt hat, dass vorliegend Art. 8 EMRK verletzt worden ist, und Deutschla...

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