Leitsatz (amtlich)

  • 1)

    Die Zuweisung eines mehrfach belegten Haftraums stellt einen anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Ihm kann mit einem Anfechtungs- in Verbindung mit einem Verpflichtungsantrag begegnet werden.

  • 2)

    Wird der Gefangene vor oder nach Eingang des Antrags auf gerichtliche Entscheidung in eine Einzelzelle verlegt, kann nach § 115 III StVollzG Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zuweisung einer Doppelzelle bzw. der Nichtverlegung in eine Einzelzelle begehrt werden, sofern die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag gewahrt sind und das besondere Feststellungsinteresse gegeben ist. Ein allgemeiner Feststellungsantrag ist hingegen nicht statthaft.

  • 3)

    Wurde die Zuweisung des Haftraums dem Gefangenen nur mündlich eröffnet, bzw. sein Begehren, in eine Einzelzelle verlegt zu werden lediglich mündlich beschieden, so müssen Anfechtungs- und Verpflichtungs- bzw. der Fortsetzungsfeststellungsantrag binnen eines Jahres nach der Einweisung bzw. nach Ablehnung des Verlegungsbegehrens gestellt werden.

  • 4)

    In Fällen, in denen die Unterbringung in einem mehrfach belegten Haftraum gegen die Menschenwürde verstößt, ist das Fortsetzungsfeststellungsinteresse i. S. des § 115 III StVollzG unabhängig von der Dauer der Unterbringung zu bejahen.

  • 5)

    Die Unterbringung in einem mehrfach belegten Haftraum verstößt jedenfalls dann gegen Art. 1 I GG, 3 EMRK, wenn die Toilette nicht abgetrennt und nicht gesondert entlüftet ist sowie gleichzeitig die Mindestmaße hinsichtlich der erforderlichen 18 cbm oder hinsichtlich der erforderlichen Bodenfläche von 7 qm jeweils pro Gefangenem nicht eingehalten werden.

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Entscheidung vom 01.04.2003; Aktenzeichen StVK 294/03)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers fallen der Staatskasse zur Last.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 300 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller verbüßt in der 1969 errichteten Justizvollzugsanstalt ....... eine Freiheitsstrafe.

Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer war er vom 24.09.2002 bis zum 28.11.2002 gemeinsam mit einem weiteren Gefangenen in einem Haftraum mit einer Grundfläche von ca. 7,5 qm und einer nur durch eine ca. 80 cm hohe Vorstellwand abgetrennten Toilette ohne separate Entlüftung untergebracht. Die Türen des Haftraumes wurden täglich von 15.30 Uhr bis 19.30 geöffnet. Ab dem 01.10.2002 war der Verurteilte jeweils von 8.00 Uhr bis 12.00 und von 13.00 Uhr bis 15.15 Uhr in der Druckerei der Haftanstalt beschäftigt. Am 29.11.2002 wurde er in einen Einzelhaftraum verlegt.

Mit seinem Antrag vom 27.01.2003, bei Gericht eingegangen am 07.02.2003,hat der Antragsteller u.a. die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Unterbringung beantragt. Die Strafvollstreckungskammer hat insoweit antragsgemäß entschieden. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sich das Feststellungsinteresse aus dem geltend gemachten schwer wiegenden Grundrechtseingriff ergebe und die Doppelbelegung der Zelle mit nicht abgetrennter und gesondert entlüfteter Zelle gegen die Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz verstoße. Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Darmstadt, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.

Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs.1 Strafvollzugsgesetz sind erfüllt, weil die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist.

Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet.

Der von dem Antragsteller gestellte Feststellungsantrag gemäß § 115 Abs. 3 Strafvollzugsgesetz war zulässig.

Ein entsprechender Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Maßnahme setzt nach allgemeiner Auffassung zunächst voraus, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrag gewahrt sind (vgl. Senat NStE StVollzG § 115, Nr. 13;OLG Hamm NStZ 1983, 240 und Beschluss vom 27.08.1984 1 Vollz (Ws) 182/04; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 9. Aufl. 2002, § 115, Rdz. 14; Schwind/Böhm, StVollzG, 3.Aufl. 1999, § 115 Rdz. 17; AK-Volckart, StVollzG, 4. Aufl. 2000, § 115, Rdz. 59). Dies ist hier der Fall.

Die Zuweisung des doppelbelegten Haftraumes am 24.09.2002 stellte eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiete des Strafvollzuges i.S. des § 109 StVollzG dar. Voraussetzung ist ein behördliches Handeln zur Regelung eines Einzelfalles mit unmittelbarer Rechtswirkung für Dritte (vgl. Callies/Müller-Dietz , a.a.O., § 109 Rdz. 11; Schwind/Böhm, a.a.O., § 109 Rdz. 10 ff.; AK-Volckart, a.a.O., § 109, Rdz. 19 ff.). Die Zuweisung eines Haftraumes oder Verlegung in einen anderen Haftraum hat gegenüber dem Gefangenen Regelungscharakter und stellt daher einen nach den §§ 109 ff. StVollzG anfechtbaren belastenden Verwaltungsak...

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