Entscheidungsstichwort (Thema)

Sorgerecht: Prüfungsumfang bei Entzug bisheriger Alleinsorge

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wendet sich ein Elternteil im Wege der Beschwerde gegen den Entzug seiner elterlichen Sorge, fällt dem Beschwerdegericht die Überprüfung der Regelung der elterlichen Sorge insgesamt ohne Bindung an etwaige Sachanträge des beschwerdeführenden Elternteils an.

2. Im Rahmen der Prüfung (Aufrechterhaltung) der Ergreifung gerichtlicher Maßnahmen wegen Gefährdung des Kindeswohls ist dabei vorrangig zu prüfen, ob einer Gefährdung des Kindeswohls durch eine gerichtliche Regelung der elterlichen Sorge im Verhältnis der Eltern untereinander nach den §§ 1626a, 1671, 1672 BGB begegnet werden kann.

3. Zu den Voraussetzungen einer Übertragung der Alleinsorge auf den bislang nicht sorgeberechtigten Vater nach § 1672 BGB in seiner durch die Entscheidung des BVerfG vom 21.7.2010, Aktenzeichen 1 BvR 420/09 (NJW 2010, 3008) vorgegebenen Fassung

 

Normenkette

BGB §§ 1626a, 1666, 1671-1672; FamFG § 69 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Frankfurt am Main (Beschluss vom 16.08.2010; Aktenzeichen 401 F 1247/09)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die elterliche Sorge für die beiden betroffenen Kinder wird auf den Vater zur alleinigen Ausübung übertragen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Ihre durch das Beschwerdeverfahren veranlassten außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten selbst. Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszugs bleibt es bei der Entscheidung im angefochtenen Beschluss.

Der Verfahrenswert wird festgesetzt auf 6.000 EUR.

 

Gründe

I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Regelung der elterlichen Sorge für die beiden betroffenen Kinder Ce. und Ch., die bis zu ihrer Inobhutnahme am 08.07. bzw. 9.7.2009 bei ihrer Mutter lebten. Diese übte die elterliche Sorge mangels gemeinsamer Sorgeerklärung alleine aus.

Bis 2003 lebten beide Eltern mit den Kindern noch in einem gemeinsamen Haushalt. Im Jahr 2003 vollzogen die Eltern eine räumliche Trennung, blieben aber zunächst partnerschaftlich verbunden, weshalb beide Kinder ihren Vater fast täglich sahen. Dies änderte sich erst mit dem Einzug des späteren Ehemanns der Mutter im Januar 2008. Die Kinder verbrachten anschließend jedes zweite Wochenende bei ihrem Vater; dieser besuchte sie nicht mehr in der Wohnung der Mutter. Ihre Mutter ist nicht berufstätig; eine nach dem Realschulabschluss im Jahr 1995 begonnene Ausbildung brach sie wegen Panikattacken ab. Der Vater ist vollzeitbeschäftigt als Elektriker.

Im Herbst 2008 heiratete die Mutter ihren neuen Partner; aus dieser Ehe ging der am ... 2009 geborene Sohn B. hervor. Bereits im Oktober 2008 war das zuständige Jugendamt von der Polizei über mehrmalige Einsätze wegen häuslicher Gewalt des alkoholkranken Ehemanns gegen die Mutter und gegen den Ehemann ausgesprochene Wegweisungsverfügungen unterrichtet worden. Im anschließenden Beratungsgespräch beim Jugendamt berichtete die Mutter über Probleme bei der Erziehung von Ce. Obwohl die Mutter in der Folgezeit mehrfach gerichtlich eine Zuweisung der Ehewohnung zur alleinigen Nutzung erwirkte oder die Polizei den Ehemann aus der Wohnung verwies, nahm die Mutter ihren Ehemann immer wieder in die Wohnung auf, so beispielsweise nach einer erneuten massiven Gewalteskalation am 13.12.2008, nach welcher die Mutter gegenüber dem Jugendamt zunächst erklärt hatte, sich nun von ihrem Ehemann zu trennen. Bereits am 26.12.2008 kam es zum nächsten Polizeieinsatz, nachdem der Ehemann sie am 25.12.2008 gewürgt und ihr einen Bilderrahmen an den Kopf geworfen hatte, als Ch. auf ihrem Schoß saß, und nachdem er ihr am 26.12.2008 zum wiederholten Male gedroht hatte sie umzubringen. Die Mutter begab sich mit ihren beiden Töchtern anschließend für vier Tage in ein Frauenhaus, kehrte dann aber wieder in ihre Wohnung zurück.

Sie wechselte die Schlösser der Wohnungstür aus, was ihren Ehemann dazu veranlasste, im Keller des Hauses zu nächtigen. Nach weiteren Polizeieinsätzen am 20.01. und 21.1.2009 wurde der Ehemann für vier Wochen in Untersuchungshaft genommen; die wegen der begangenen Körperverletzungen verhängte Freiheitsstrafe wurde schließlich zur Bewährung ausgesetzt. Auf die in der beigezogenen Akte betreffend das Kind B., Aktenzeichen 4 UF 154/10 des Senats, befindlichen Polizeiberichte wird Bezug genommen. Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft bewohnte der Ehemann wieder die eheliche Wohnung. Seitens des Jugendamts wurde eine bis zum 23.4.2009 befristete intensive Krisenintervention installiert, auf welche beide Eheleute sich zunächst einließen. Von den Helfern wurde über Schwierigkeiten Ce. s in der Schule und im Umgang mit Gleichaltrigen sowie über fehlenden Respekt beider Kinder gegenüber Erwachsenen berichtet, außerdem über gewalttätige Übergriffe der früh pubertierenden Ce. gegen ihre Schwester Ch. und gegen Mitschüler. Am 22.03. und 23.3.2009 kam es erneut zu häuslicher Gewalt gegen di...

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