Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltsanspruch trotz Fernbleibens vom Schulunterricht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch bei Minderjährigen sind fiktive Einkünfte zu berücksichtigen, soweit eine gesetzliche Schulpflicht nicht mehr besteht und unter Berücksichtigung des Jugendarbeitsschutzes eine Erwerbsstätigkeit des Minderjährigen zur Deckung des eigenen Bedarfs erwartet werden kann.

2. Da an die Erfüllung der Schulpflicht u.a. Ordnungswidrigkeiten geknüpft sind, kann in unterhaltsrechtlicher Hinsicht keine Obliegenheit für den Minderjährigen bestehen, trotz Fernbleibens vom Schulunterricht einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

 

Verfahrensgang

AG Offenbach (Beschluss vom 09.12.2014; Aktenzeichen 319 F 1514/14)

AG Offenbach (Beschluss vom 20.10.2010; Aktenzeichen 317 F 685/09)

 

Tenor

Die angefochtene Entscheidung wird mit der Maßgabe abgeändert, dass die dem Antragsgegner dort auferlegte Verpflichtung in Abänderung des vor dem AG Offenbach geschlossenen Vergleichs vom 20.10.2010 (317 F 685/09) erfolgt.

Im Übrigen wird Beschwerde kostenpflichtig zurückgewiesen.

Der Verfahrenswert wird für den ersten und zweiten Rechtszug auf 2.576,-- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt von dem Antragsgegner, seinem Vater, die Zahlung des gesetzlichen Mindestunterhaltes. Der Antragsgegner hatte sich bereits im Verfahren vor dem AG Offenbach am Main, Aktenzeichen 317 F 685/09, in der mündlichen Verhandlung vom 20.1.2010 verpflichtet, ab dem 1.4.2009 monatlich je 150,-- EUR für seine beiden Kinder, also auch den Antragsteller, zu zahlen, wobei die Beteiligten vereinbart haben, dass ab Januar 2012 jede Partei eine Neuberechnung auf Grundlage der dann bestehenden wirtschaftlichen und gesetzlichen Verhältnisse verlangen könne. Der Antragsgegner hat bereits im ersten Rechtszug geltend gemacht, dass er arbeitslos sei und im Übrigen aufgrund krankheitsbedingter Einschränkungen zumindest nicht voll erwerbsfähig sei. Im Übrigen hat der Antragsgegner nach Veräußerung eines in seinem Eigentum stehenden Wohnhauses einen Kaufpreis in Höhe von 125.000,-- EUR erhalten, wovon er einen Kredit bei der A ... kasse AG i.H.v. 58.810,15 EUR getilgt haben will und im Übrigen weitere Darlehen an seine Mutter, einen Herrn B, an eine Frau B und eine Frau C zurückgezahlt haben will, sodass ihm nichts verblieben sei. Im Übrigen habe er sich hinreichend um die Beschäftigung eines neuen Arbeitsplatzes bemüht.

Der Antragsteller, der zunächst seit April 2014 die Schule nicht mehr besucht hat, beabsichtigt nunmehr, sich zum neuen Schuljahr an einer Erziehungshilfeschule beworben zu haben und macht im Übrigen geltend, noch bis 31.7.2015 gesetzlich schulpflichtig zu sein.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die wechselseitig eingereichten Schriftsätze und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter des Senats vom 27.5.2015.

II. Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg.

Der vom Antragsteller gestellte Abänderungsantrag ist nach § 239 Abs. 1 ZPO ohne weiteres zulässig, da die Beteiligten in dem Vergleich vom 20.10.2010 vereinbart haben, dass jeder Beteiligte ab dem 1.1.2012 eine Neuberechnung auf Grundlage der dann bestehenden wirtschaftlichen und gesetzlichen Lage verlangen kann. Insoweit bedarf es auch in materiell-rechtlicher Hinsicht keiner Änderung der Geschäftsgrundlage des Vergleichs.

Der Antragsgegner schuldet, wie das AG im Ergebnis zutreffend festgestellt hat, seinem Sohn, dem Antragsteller, den gesetzlichen Mindestunterhalt nach Maßgabe von §§ 1601, 1603 Abs. 2 BGB.

Obwohl der Antragsteller unstreitig seit April 2014 die Schule nicht mehr besucht hat, besteht sein Unterhaltsanspruch jedenfalls bis zur Beendigung des noch laufenden Schuljahres fort. Zwar steht die Rechtsauffassung des AG, dass der vom Antragsteller veranlasste Schulabbruch seinen Unterhaltsanspruch nicht tangiere, weil es Aufgabe der (sorgeberechtigten) Eltern sei, ihr Kind so zu beeinflussen, dass es zur Schule gehe, nicht im Einklang mit der heute vorherrschenden Rechtsprechung und insbesondere der vom Senat vertretenen Auffassung. Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 27.5.2015 erklärt hat, bejaht die heute vorherrschende Rechtsprechung auch bei Minderjährigen die Berücksichtigung fiktiver Einkünfte, soweit eine gesetzliche Schulpflicht nicht mehr besteht und unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzes eine Erwerbsstätigkeit des Minderjährigen zur Deckung des eigenen Bedarfs erwartet werden kann (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2010, 2082; OLG Brandenburg MDR 2005, 340 [OLG Brandenburg 23.08.2004 - 9 WF 157/04]). Der Antragsteller hat jedoch zutreffend auf den Hinweis des Einzelrichters des Senats eingewendet, dass eine gesetzliche Schulpflicht noch bis zum Abschluss des laufenden Schuljahres bestehe. Gemäß § 59 Abs. 1 des hessischen Schulgesetzes dauert die Vollzeitschulpflicht zwar grundsätzlich nur neun Jahre, sodass sie bei einer unstreitigen Einschulung de...

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