Leitsatz (amtlich)

1. Ein wartepflichtiger Pkw-Fahrer, der außerorts bei Dunkelheit auf eine bevorrechtigte Straße nach rechts einbiegen will, braucht mit dem Auffahren nicht allein schon deshalb zu warten, weil die bloße Möglichkeit besteht, dass hinter einem von rechts herannahenden (sichtbaren) Pkw ein anderes (unsichtbares) Fahrzeug folgen und zum Überholen ausscheren könnte.

2. Für die Frage der Sichtbarkeit des vorfahrtberechtigten Verkehrsteilnehmers kommt es darauf an, ob der Wartepflichtige ihn spätestens in dem Augenblick erkennen konnte, als er zum Einbiegen auf die Vorfahrtstraße ansetzt.

3. Lässt sich die Frage der Sichtbarkeit nicht klären, so geht dies zu Lasten des Vorfahrtberechtigten, soweit ein Verschulden des an sich Wartepflichtigen in Frage steht. Diese Beweislastverteilung gilt auch für einen Insassen des bevorrechtigten Fahrzeugs (Urt. v. 20.8.2001 – 1 U 160/99, rkr.).

 

Normenkette

StVO § 8

 

Verfahrensgang

LG Kleve (Aktenzeichen 3 O 51/98)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 13.06.2002; Aktenzeichen IX ZR 242/01)

 

Tenor

Auf die Anschlussberufung der Beklagten zu 1) und 2) wird das am 4.5.1999 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Kleve unter Zurückweisung der weitergehenden Anschlussberufung sowie der Berufung teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten zu 1) und 2) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 2.925,20 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 7.4.1998 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) dem Kläger als Gesamtschuldner alle zukünftigen materiellen Schäden, die ihm aus dem Verkehrsunfall vom 17.1.1995 entstehen, bis zu einer Haftungshöchstgrenze eines Schadensgesamtbetrages von 100.000 DM zu ersetzen haben, soweit der Anspruch nicht auf Dritte übergeht.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers der Erst- und Zweitbeklagten in der ersten Instanz tragen der Kläger zu 4/5 und die Erst- und Zweitbeklagte zu 1/5.

Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers der Erst- und Zweitbeklagten im Berufungsrechtsstreit tragen der Kläger zu 85 % und die Erst- und Zweitbeklagte zu 15 %.

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) und 4) sowie diejenigen der Beklagten zu 5) einschließlich der Kosten der Nebenintervention trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird nach § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

 

Gründe

Berufung und Anschlussberufung sind zulässig, bleiben in der Sache jedoch ohne Erfolg. In Abänderung des landgerichtlichen Urteils war dem Antrag der Erst- und Zweitbeklagten folgend der Feststellungsausspruch für materielle unfallbedingte Zukunftsschäden des Klägers gem. § 12 Abs. 1 Ziff. 3 des StVG auf den Haftungshöchstbetrag von 100.000 DM zu begrenzen.

I. Der Kläger hat gegen die Beklagten aufgrund des Unfallereignisses vom 17.1.1995 einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 7 Abs. 1 StVG bzw. über § 3 Ziff. 1 Pflichtversicherungsgesetz i.H.v. 2.925,20 DM. Des Weiteren steht ihm ein Feststellungsanspruch wegen etwaiger unfallbedingter materieller Zukunftsschäden zu. Die insoweit von der Erst- und der Zweitbeklagten eingelegte Anschlussberufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das LG ihre Haftung für diese Positionen angenommen.

1. Der Verkehrsunfall vom 17.1.1995 erfolgte beim Betrieb (§ 7 Abs. 1 StVG) des PKW Renault der Beklagten zu 1). Dem steht nicht entgegen, dass Renault und Audi sich nicht berührt haben.

a) Indem die Erstbeklagte mit ihrem Fahrzeug von dem Seitenweg I.W. auf die H.-Straße eingefahren ist, hat sie einen mitverursachenden Beitrag zu dem Unfall des entgegenkommenden PKW Audi, in dem der Kläger Beifahrer war, geliefert. Ihr Einbiegen hat sich in dem Unfallgeschehen niedergeschlagen und es mitgeprägt. Der verstorbene Fahrer des Audi M.G. hätte den scharfen Fahrspurwechsel zurück auf die rechte Fahrbahn der H.-Straße in unmittelbarer Nähe der Einfahrt des Seitenweges I.W. nicht durchgeführt, wenn ihm nicht der gerade aus dem Seitenweg eingebogene Renault der Beklagten zu 1) entgegen gekommen wäre. Dieser Fahrspurwechsel verbunden mit der Bremsung des Audi hat sodann zu dem Ausbrechen des Fahrzeuges geführt, wodurch der Fahrer die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und von der Straße abkam.

Aufgrund der Begutachtung des Sachverständigen Dipl.-Ing. S. vom 18.12.2000 steht fest, dass die Ursache des Unfalls darin liegt, dass ein scharfer Fahrspurwechsel nach rechts vorgenommen wurde, der durch eine sofort anschließende ebenfalls scharfe Lenkbewegung nach links wieder abgefangen werden musste. Weiter hat der Sachverständige festgestellt, dass die Rückkehr des Audi auf die rechte Richtungsfahrbahn unter Berücksichtigung der Spuren in unmittelbarer Nähe zu der Einfahrt I.W. beendet war. Das Ausbrechen des Hecks des Audi konnte der Sachverständige nur so erklären, dass zwei gegenläufige Lenkmanöver unmittelbar aufeinander folgten. Das Ausbrechen des Hecks ist für ein Fahrzeug mit Frontantrieb un...

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