Entscheidungsstichwort (Thema)

Erscheinung von Werken durch die Verbreitung handschriftlicher Vervielfältigungsstücke ("Montezuma")

 

Leitsatz (amtlich)

1. Werke können auch durch die Verbreitung handschriftlicher Vervielfältigungsstücke erscheinen.

2. In Italien konnte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Opernmusik dadurch erscheinen, dass auf Bestellung von Interessenten durch Kopisten Abschriften des beim Aufführungstheater befindlichen sog. Originale gefertigt wurden.

3. Wer als Herausgeber eines nachgelassenen Werkes Leistungsschutz in Anspruch nimmt, muss beweisen, dass das Werk zuvor nicht erschienen war.

4. Der Umstand, dass ein Werk über längere Zeit als verschollen gegolten hat, begründet nicht die Vermutung, dass es nicht zuvor erschienen war.

 

Normenkette

UrhG § 6 Abs. 2 S. 1, § 16 Abs. 1, § 71 Abs. 1 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

LG Duisburg (Urteil vom 11.07.2005; Aktenzeichen 12 O 355/05)

 

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil der 12. Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 11.7.2005 abgeändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens fallen dem Antragsteller zur Last.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 100.000 EUR.

 

Gründe

I. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Danach stellt sich der Sachverhalt wie folgt dar:

Der antragstellende Verein, eine chor- und konzertausübende Gesellschaft bürgerlicher Musikpflege mit langer Tradition, wendet sich, gestützt auf § 71 UrhG, gegen eine Aufführung der Oper "Motezuma" von Antonio Vivaldi nach einer in seinem Archiv gefundenen Handschrift seitens der Antragsgegnerin. Titelheld ist der in Europa üblicherweise "Montezuma" genannte aztekische Herrscher des 16. Jahrhunderts.

Der 1741 gestorbene venezianische Komponist Antonio Vivaldi schuf eine Oper dieses Titels, die am 14.11.1733 unter seiner Leitung im venezianischen Theater Sant' Angelo uraufgeführt wurde - Ryom-Verzeichnis Nr. 723. Nach einer vom Antragsteller in Zweifel gezogenen Literaturstelle erlebte die Oper an diesem Theater 1772 eine weitere Aufführung. Während das von Alvise oder Girolamo Giusti stammende Libretto der Oper bekannt blieb, galt die Komposition lange als verloren.

2002 entdeckte der Musikwissenschaftler Dr. V. aus Hamburg in der Handschrift mit der Signatur SA 1214 des Archivs des Antragstellers die - nicht ganz vollständige - Musik zu der Oper. Der Antragsteller traf im Januar 2005 Maßnahmen, die er als ein erstmaliges Erscheinenlassen der Opernmusik im Rechtssinne ansieht, nämlich die Herstellung von 50 gebundenen Vervielfältigungsstücken der Handschrift - Faksimilekopien ohne weitere Bearbeitung - und deren Angebot zum Preis von jeweils 60 EUR, worauf auf seiner Internet-Seite hingewiesen worden sei. Zwei Exemplare seien im Mai und Juni an Kunden versandt worden.

Die Antragsgegnerin beabsichtigt, im Rahmen des von ihr veranstalteten "Altstadtherbst Kulturfestivals" im September 2005 mehrere szenische Aufführungen der Oper. Vorab wollte sie schon an für den 16. und 17.7.2005 in Barga, Italien (Provinz Lucca), vorgesehenen entsprechenden Aufführungen als Koproduzentin mitwirken.

Die Antragsgegnerin arbeitet mit dem Musikwissenschaftler, Komponisten und Dirigenten S. aus Florenz, Mitglied des in Venedig ansässigen Istituto Italiano 'Antonio Vivaldi', zusammen, der seinerseits gemeinsam mit Dr. V. an der Musik die für eine Aufführung des Werks notwendigen Ergänzungen vorgenommen und der das Werk schon bei einer konzertanten Aufführung am 11.6.2005 in Rotterdam, Niederlande, künstlerisch geleitet hat; diese Aufführung war vom Antragsteller genehmigt worden. Für die von der Antragsgegnerin vorgesehenen Aufführungen verweigerte der Antragsteller die Genehmigung.

Der Antragsteller, der behauptet hat, die Musik der Oper sei zuvor niemals im Rechtssinn "erschienen", und der geltend gemacht hat, durch Aufführungen der Antragsgegenerin werde sein, des Antragstellers, Interesse an einer von ihm selbst beabsichtigten hochrangigen szenischen Aufführung sowie an einer Einspielung der Musik beeinträchtigt, den drohenden Schaden werde die weitgehend vermögenslose Antragsgegnerin nachträglich nicht ausgleichen können, hat unter dem 29.6.2005 beantragt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsmitteln zu untersagen, die aus seinem Archiv stammende und von ihm erstmals veröffentlichte Oper "Motezuma" von Antonio Vivaldi (SA 1214) - szenisch oder konzertant - aufzuführen und/oder aufführen zu lassen und/oder Aufführungen des Werkes auf ihrer Internet-Webseite und/oder in anderen Medien anzukündigen und/oder ankündigen zu lassen.

Die Antragsgegnerin, die die Zurückweisung des Verfügungsantrags begehrt hat, hat in Abrede gestellt, dass der Antragsteller das musikalische Werk jetzt im Rechtssinn habe erscheinen lassen, vor allem aber dass es nicht schon früher im Rechtssinn "erschienen" sei. Das Gegenteil des Letzteren sei aus dem Charakter der aufgefunde...

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