Leitsatz (amtlich)

1. Obgleich es dem Rechtsanwalt nicht obliegt, die Erfolgsaussicht eines Rechtsstreits mit mathematischer Genauigkeit anzugeben, muss er den Mandanten auf ein besonders hohes Risiko aufmerksam machen.

2. Bevor der Rechtsanwalt dem Mandanten nach der Ehescheidung trotz Gütertrennung zur Durchsetzung eines Ausgleichsanspruchs rät, hat er ihn nach allen relevanten, also auch ihm ungünstigen Umständen zu befragen, um die notwendige Abwägung der Interessen beider Ehegatten vornehmen zu können.

3. Bei Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO ist eine Kostenentscheidung im Verhältnis der Werte von Haupt- und Anschlussberufung zu treffen (Bestätigung von OLG Düsseldorf NJW 2003, 1260).

 

Normenkette

BGB §§ 675, 611, 280, 1373, 242; ZPO §§ 522, 524, 92

 

Verfahrensgang

LG Kleve (Urteil vom 27.03.2009; Aktenzeichen 1 O 179/08)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 27.3.2009 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Kleve wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsrechtszuges werden der Beklagten zu 95 % und dem Kläger zu 5 % auferlegt.

3. Der Berufungsstreitwert wird auf 10.304,82 EUR festgesetzt, davon entfallen auf die Berufung 9.798,02 EUR und auf die Anschlussberufung 506,80 EUR.

 

Gründe

I. Das Rechtsmittel bleibt ohne auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das LG hat die beklagte Rechtsanwaltsgesellschaft zu Recht zum Ersatz der vom Kläger erlittenen Kostenschäden (mindestens 9.798,02 EUR nebst Zinsen und Kosten) verurteilt. Die dagegen vorgebrachten Berufungseinwände rechtfertigen keine der Beklagten günstigere Entscheidung. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf den Hinweisbeschluss vom 26.11.2009. Dort hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt:

"Mit zutreffenden Erwägungen hat das LG angenommen, die Beklagte sei dem Kläger aus dem Gesichtspunkt der positiven Verletzung des Anwaltsdienstvertrags (§§ 611, 675, 276, 280 Abs. 1 BGB) für die Kosten dem Grunde nach schadensersatzpflichtig, die ihm in dem gegen seine geschiedene Ehefrau (künftig: Ehefrau) durch zwei Instanzen geführten Zahlungsprozess (künftig: Vorprozess) entstanden sind. Der für die beklagte Sozietät tätig gewordene sachbearbeitende Rechtsanwalt G. (künftig: Beklagter) hat den Kläger bezogen auf die im Vorprozess umstrittene Ausgleichszahlung, die der Rückabwicklung einer der Ehefrau unbenannt ehelich zugewendeten Zahlung von 29.143,64 EUR nach Scheitern der im getrennten Güterstand geführten Ehe dienen sollte, defizitär beraten. Den Anspruchsgrund hatte der Beklagte zwar zunächst schlüssig dargelegt. Dieser Vortrag konnte aber den vorhandenen und durchgreifenden Gegenargumenten der Ehefrau offensichtlich nicht standhalten. Dies hätte der Beklagte bei der dem Kläger geschuldeten Beratung bereits vor Klageerhebung antizipierend berücksichtigen müssen. Hätte er das getan, hätte der Kläger auf die Führung des Vorprozesses verzichtet und die hier umstrittenen Kostenschäden wären vermieden worden.

1. Ein Rechtsanwalt ist kraft des Anwaltsvertrags verpflichtet, die Interessen seines Auftraggebers in den Grenzen des erteilten Mandats nach jeder Richtung und umfassend wahrzunehmen. Er muss sein Verhalten so einrichten, dass er Schädigungen seines Auftraggebers, mag deren Möglichkeit auch nur von einem Rechtskundigen vorausgesehen werden können, vermeidet. Er hat, wenn mehrere Maßnahmen in Betracht kommen, diejenige zu treffen, welche die sicherste und gefahrloseste ist, und, wenn mehrere Wege möglich sind, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, denjenigen zu wählen, auf dem dieser am sichersten erreichbar ist. Gibt die rechtliche Beurteilung zu ernstlich begründeten Zweifeln Anlass, so muss er auch in Betracht ziehen, dass sich die zur Entscheidung berufene Stelle der seinem Auftraggeber ungünstigeren Beurteilung der Rechtslage anschließt. Im Prozess ist er verpflichtet, den Versuch zu unternehmen, das Gericht davon zu überzeugen, dass und warum seine Auffassung richtig ist. Welche konkreten Pflichten aus diesem allgemeinen Pflichtenprogramm abzuleiten sind, richtet sich nach dem erteilten Mandat und den Umständen des Falles (ständ. höchstrichterl. Rspr., vgl. z.B. BGH NJW-RR 2005, 494 = FamRZ 2005, 261; 2003, 1212; NJW 1997, 2168; NJW 1988, 1079, 1080.f).

2. Geht wie hier der Vorprozess ohne Beweisaufnahme verloren, weil die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorliegen, muss der Mandant als derjenige, der dem Rechtsanwalt eine Vertragsverletzung zur Last legt, darlegen und notfalls beweisen, dass er nur deshalb das Prozessrisiko eingegangen ist, weil der Rechtsanwalt die Erfolgsaussichten unrichtig dargestellt hat. Der Rechtsanwalt ist nämlich verpflichtet, den ihm vorgetragenen Sachverhalt darauf zu prüfen, ob er geeignet ist, den begehrten Anspruch zu stützen (BGH MDR 2000, 297). Durch geeignete Befragung des Mandanten muss er rechtlich relevante Sachverhaltslücken aufklären (BGH NJW 1982, 437; 1994, 1472). Das gilt vor allem dann, wenn nach den Umständen für eine zutreffende rechtliche Ein...

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