Leitsatz (amtlich)

Auch für den Unterhalt volljähriger Kinder ist das Kindergeld bis zur Sicherstellung des 135 % des Regelbetrags entsprechenden fortgeschriebenen Barbedarfs mit einzusetzen. Erbringt ein Elternteil nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes noch Naturalunterhaltsleistungen, bleibt es bei hälftiger Kindergeldzurechnung.

 

Normenkette

BGB § 1603 Abs. 2, § 1606 Abs. 3, § 1612b Abs. 1 und 5

 

Verfahrensgang

AG Nettetal (Aktenzeichen 7 F 386/01)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des AG – FamG – vom 20.11.2001 teilweise abgeändert und ihm unter Beiordnung von Rechtsanwalt … Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit er folgenden monatlichen Unterhalt beansprucht:

Für April bis Juli 2001 578 DM

Juli bis Dezember 2001 601 DM

ab Januar 2002 301 Euro

Die weitere Beschwerde wird gerichtsgebührenfrei zurückgewiesen.

 

Gründe

Der inzwischen 22 Jahre alte schwerstbehinderte Kläger, der tagsüber in einer Behindertenwerkstatt betreut wird und ein Entgelt von 166 DM monatlich erhält, wohnt bei seiner Mutter, die auch zur Betreuerin bestellt ist und – neben Pflegegeld von 800 DM – Erwerbseinkünfte von 1.160 DM monatlich erzielt. Er nimmt den Beklagten, seinen Vater, auf Zahlung laufenden Unterhalts i.H.v. monatlich 684 DM ab September 2001 in Anspruch.

Der Beklagte erkennt seine Verpflichtung i.H.v. monatlich 496 DM an.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers zurückgewiesen, weil der Tabellenunterhalt um das hälftige Kindergeld zu kürzen und darüber hinaus jedenfalls ein Teil der Erwerbsvergütung anzurechnen sei.

Die zulässige Beschwerde des Klägers hat teilweise Erfolg.

Nach der Neufassung des § 1612b Abs. 5 BGB unterbleibt die Anrechnung des Kindergeldes, wenn und soweit der für den Unterhalt des Kindes zur Verfügung stehende Betrag, das heißt der tatsächlich zu entrichtende Barunterhalt, hinter dem „Existenzminimum” zurückbleibt, das der Gesetzgeber mit 135 % des jeweiligen, nach Altersgruppen gestaffelten Regelbetrags definiert. Zwar scheint die Verwendung des Begriffs „Regelbetrag” darauf hinzudeuten, dass sich die Bestimmung auf minderjährige Kinder beschränkt (so u.a. auch Scholz, FamRZ 2000, 1541 [1546] und FamRZ 2001, 1034 [1048]). Eine solche Geltungsreduktion hat der Gesetzgeber jedoch nicht beabsichtigt (vgl. etwa Schumacher/Grün, FamRZ 1998, 778; Becker, FamRZ 1999, 65); für sog. „privilegiert volljährige” Kinder würde sie i.Ü. dem gesetzlichen Gleichstellungsgebot aus § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB offenkundig zuwiderlaufen. Sie wäre schließlich auch, worüber Einvernehmen besteht, ersichtlich sachwidrig, weil sich das „Existenzminimum”, d.h. der Gesamt-Barunterhaltsbedarf eines Kindes mit zunehmendem Alter, insbesondere mit dem Eintritt der Volljährigkeit kaum vermindern kann.

Der Senat geht demzufolge in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auch bei volljährigen Kindern als „Mindestbedarf” ein Barunterhalt i.H.v. 135 % des (fortgeschriebenen) Regelbetrags abzüglich halbes Kindergeld eingesetzt wird, bevor die Leistungsfähigkeit des barunterhaltspflichtigen Elternteils geprüft wird (vgl. dazu auch Graba, NJW 2001, 249 [254]; Wohlgemuth, FamRZ 2001, 742).

Zwar sind bei volljährigen Kindern grundsätzlich beide Elternteile barunterhaltspflichtig, weil die Gleichwertigkeit der Betreuungsleistung der Mutter (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB) entfallen ist. Im vorliegenden Fall ist die Mutter des Klägers jedoch in Anbetracht ihrer unter dem angemessenen Selbstbehalt liegenden Erwerbseinkünfte nicht leistungsfähig.

Grundsätzlich geht § 1612b Abs. 1 BGB von der Anrechnung des Kindergeldes je zur Hälfte aus. Wie zu verfahren ist, wenn das Kind im Haushalt der Mutter lebt, die ihrerseits mangels Leistungsfähigkeit nicht barunterhaltspflichtig ist, aber nach § 64 Abs. 2 EStG das Kindergeld bezieht, spricht § 1612b zwar nicht ausdrücklich an. Weil jedoch die hälftige Kindergeldanrechnung nicht von der Höhe des von jedem Elternteil erbrachten Unterhaltsanteils abhängt und die Mutter durch Wohnungsgewähr und Mitversorgung Naturalunterhalt erbringt, sollte es auch bei voller Barunterhaltsleistung bei hälftigem Kindergeldabzug verbleiben (so auch OLG Nürnberg v. 25.10.1999 – 10 UF 1425/99, MDR 2000, 34 = OLGReport Nürnberg 2000, 63 = NJW-RR 2000, 598; Schumacher/Grün, FamRZ 1998, 784; Wendl/Scholz § 2 Rz. 515).

Wenn man hiernach den (Bar-)Unterhaltsbedarf des Klägers aus der 6. Einkommensgruppe (135 % des Regelbetrags) und 4. Altersstufe entnimmt (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 61. Aufl., § 1612b Rz. 12 m.w.N.) – das sind bis Juni 2001 monatlich 796 DM, von Juli bis Dezember 2001 monatlich 819 DM und ab Januar 2002 420 Euro –, bleibt nach Anrechnung des hälftigen Kindergelds (monatlich 270 DM, ab Januar 2002 154 Euro) zunächst ein ungedeckter Bedarf von monatlich 661 DM (bis Juni 2001), 684 DM (bis Dezember 2001) bzw. 343 Euro (ab Januar 2002) übrig.

Allerdings besteht kein ausreichender Anlass, von der Anrechnung des Arbeitslohns, den der Kläger für seine Tätigkeit in der Behindert...

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