Leitsatz (amtlich)

Weder aus § 147 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG noch aus dem Gebot des fairen Verfahrens ergibt sich gegenüber dem Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung ein Recht des Betroffenen auf Einsicht in die bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Daten der Geschwindigkeitsmessungen des Tattages, die lediglich andere Verkehrsteilnehmer betreffen, und auf Überlassung der Daten zur eigenen Auswertung.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1; EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1; StPO § 147; GG Art. 20 Abs. 3

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung derzulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 120,- € verurteilt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 5. März 2014 um 11:49 Uhr mit einem PKW die Bundesautobahn 42 in Fahrtrichtung Bundesautobahn 57 (Fahrtrichtung Köln) mit einer - nach Toleranzabzug vorwerfbaren - Geschwindigkeit von 111 km/h bei einer zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h.

Gegen dieses Urteil richtet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs sowie materiellen Rechts. Der Einzelrichter hat die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 7. Juli 2015 zugelassen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1.

Die erhobene Verfahrensrüge hat keinen Erfolg.

a) Der Betroffene hat zulässig gerügt, das Amtsgericht habe durch Beschluss in der Hauptverhandlung zu Unrecht seinen Antrag auf Vorlage der vollständigen Messreihe des Tattages abgelehnt und damit die Verteidigung unzulässig nach § 338 Nr. 8 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG beschränkt.

Die Ablehnung des Antrags stellt jedoch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen dar.

Dabei ist der Antrag nicht als Beweisantrag zu bewerten, da der Betroffene weder ein konkretes Beweismittel noch eine bestimmte zu beweisende Tatsachebenannt hat. Sein Antrag richtete sich vielmehr ausdrücklich allein auf die Überlassung der Messdaten, um ihm deren Auswertung mit Hilfe eines privaten Sachverständigen zu ermöglichen.

Dem Betroffenen stand indes im Rahmen der Hauptverhandlung kein Recht auf Einsicht in die bezeichneten Messdaten und deren Überlassung zu.

aa) Ein solches Recht folgt nicht aus § 147 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG. Die Messdaten des Tattages, die sich nicht auf den Betroffenen, sondern auf andere Verkehrsteilnehmer beziehen, sind nicht Teil der dem Gericht vorliegenden Akte. Sie hätten dem Gericht bei Abgabe des Verfahrens nach Einlegung des Einspruchs auch nicht vorgelegt werden müssen.

Zur Akte gehören grundsätzlich alle Schriftstücke, Ton- oder Bildaufnahmen, Videoaufzeichnungen u. a., aus denen sich schuldspruch- oder rechtsfolgenrelevante Umstände ergeben können (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 147 Rdn. 14; BGH StV 2010, 228, 229; LG Itzehoe StV 1991, 555; OLG Koblenz NJW 1981, 1570). Dabei bezieht sich das Einsichtsrecht nur auf das gegen den jeweiligen Beschuldigten geführte Verfahren, nicht hingegen auf Aktenbestandteileanderer Verfahren, selbst wenn die Verfahren zeitweise gemeinsam geführt und später getrennt wurden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 147 Rdn. 16; BGHSt 52, 58, 62). So gehören etwa polizeiliche Spurenakten nur zu den Akten, soweit sie bei der Verfolgung einer bestimmten Tat gegen einen bestimmten - bekannten oder unbekannten - Täter angefallen sind, falls ihr Inhalt für die Feststellung der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat und für etwaige gegen ihn zu verhängende Rechtsfolgen von irgendeiner Bedeutung sein kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 147 Rdn. 16; BVerfGE 63, 45, 62). Es ist zunächst Aufgabe der Ermittlungsbehörden, nach dem Grundsatz der Objektivität zu prüfen, welche Urkunden, Daten o. ä. Relevanz für das Verfahren gegen einen bestimmten Beschuldigten oder Betroffenen haben, und eine entsprechende Auswahl bei der Zusammenstellung der Verfahrensakte zu treffen, bevor diese dem Gericht vorgelegt wird (vgl. BGHSt 30, 131, 139 f.).

Nach dieser Auffassung hätten die Messdaten, die lediglich andere Verkehrsteilnehmer betreffen, dem Gericht nicht vorgelegt werden müssen, da die Ermittlungsbehörden diesen Daten für das Verfahren gegen den Betroffenen keineBedeutung beigemessen haben und eine solche auch nicht ersichtlich ist.

Teilweise wird in der Literatur vertreten, sämtliche Akten mit Tatbezug müssten zur Verfahrensakte genommen werden, auch ohne ersichtlichen Bezug zumBeschuldigten (vgl. Wasserburg NJW 1980, 2440 und weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 147 Rdn. 18).

Selbst auf der Basis dieser sehr weit gehenden und abzulehnenden Auffassung bestünde hier ein Einsichtsrecht aus § 147 StPO nicht, da die Daten über die Messung der Geschwindigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer unmittelbar keinerlei Bezug zu der dem Betroffenen vorgeworfenen Tat aufweisen. Es besteht insofern lediglich die theoretische, nicht naheliegende Möglichkeit, dass sich aus diesen Daten Hinweise auf etwaige Fehlfu...

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