Leitsatz (amtlich)

1. Eine Klausel in den Versicherungsbedingungen einer Betriebsschließungsversicherung, die meldepflichtige Erkrankungen als "die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger" definiert und diese sodann im Einzelnen auflistet, ist nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers als abschließend zu verstehen; eine Erstreckung auf Betriebsschließungen aufgrund von SARS-COV2/Covid-19 scheidet aus.

2. § 1a VVG hat nur deklaratorischen Charakter und kann Ansprüche des Versicherungsnehmers auf einen bestimmten Versicherungsschutz nicht begründen.

3. Knüpfen die Versicherungsbedingungen an die "Schließung des Betriebes" an, ist grundsätzlich eine vollständige Einstellung der Geschäftsaktivitäten erforderlich. Ein fortgeführter oder neu aufgenommener Außer-Haus-Verkauf kann bei einer Gaststätte einer Betriebsschließung entgegenstehen.

4. Ausgenommen sind untergeordnete Mitnahmegeschäfte, die nicht mehr als 5% des Gesamtumsatzes ausmachen.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 2084/20)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 18.3.2021 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

III. Die Revision wird zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 16.474,11 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin betreibt in M... ein ... Speiserestaurant. Sie nimmt die Beklagte aus einer bei ihr gehaltenen Betriebsschließungsversicherung für den Haftzeitraum vom 19.3.2020 bis 23.4.2020 in Anspruch. Aufgrund eines "Nachtrags Nr. 3" war für den Zeitraum 1.1.2020 bis 1.1.2021 Versicherungsschutz u. a. für "Schäden durch Betriebsschließung" vereinbart. Dem Versicherungsvertrag lagen die Zusatzbedingungen der Beklagten für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz 2008 (ZBSV 2008) zugrunde. Für den Inhalt der ZBSV 2008 wird auf die Anlage B1 Bezug genommen. Die Klägerin hat behauptet, ab dem 19.3.2020 aufgrund behördlicher Anordnung ihren Restaurantbetrieb geschlossen zu haben und die Auffassung vertreten, nach den maßgeblichen Versicherungsbedingungen sei ein Anspruch wegen diese Betriebsschließung gegeben. Ob und in welcher Höhe ihr während der Haftzeit ein Außerhaus-Verkauf möglich gewesen sei, sei allenfalls für die Höhe der Versicherungsleistung nicht aber für die Frage, ob der "versicherte Betrieb" geschlossen worden sei maßgeblich.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil eine Betriebsschließung infolge der Corona-Pandemie nicht vom Versicherungsschutz abgedeckt sei. Ziff. 2 Nr. 2 ZBSV 2008 enthalte eine abschließende Aufzählung der versicherten Krankheiten, was u. a. durch die Formulierungen "im Folgenden" sowie "namentlich genannt" verdeutlicht werde. Dem stehe auch nicht die Regelung in § 4 Nr. 3 ZBSV 2008 entgegen, weil der Ausschluss von Prionenerkrankungen für den verständigen Versicherungsnehmer die abschließend zu verstehende Liste nicht wieder öffne. Die streitgegenständliche Klausel halte auch in jeder Hinsicht einer AGB-Kontrolle stand: Weder stelle sie eine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB dar noch sei sie mehrdeutig (§ 305c Abs. 2 BGB). Ob die Klausel einer Inhaltskontrolle zu unterwerfen sei, sei bereits zweifelhaft, jedenfalls hielte sie ihr stand, weil sie zum einen hinreichend transparent, zum anderen aber auch inhaltlich angemessen sei.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre bereits erstinstanzlich vertretene Rechtsauffassung weiter. Sie ist der Meinung, das Landgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass ein Versicherungsnehmer Schutz gegen Betriebsschließungen infolge von Krankheitserregern begehre, die ihn von heute auf morgen seiner Existenzgrundlage beraubten. Hieran sei die Transparenz der von der Beklagten verwendeten Regelungen zu messen. Diese sei hier nicht gegeben, schon weil es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht möglich sei, seinen Versicherungsschutz auf einen Blick zu übersehen. Der Verweis auf das IfSG sei nicht nur nutzlos und überflüssig, vielmehr werde die verwendete Klausel hierdurch intransparent und damit unbeachtlich, zumal ein verständiger Versicherungsnehmer angesichts der aufgezählten Krankheitsfälle auch neuartige Viren unter den Versicherungsschutz subsumiere. Zur weiteren Begründung werde auf einen Aufsatz von Griese in VersR 2021, 147 Bezug genommen.

Sie beantragt,

das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 16.474,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, vertieft i...

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