Leitsatz (amtlich)

1. Die Annahme von Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen kann auch dann auf ein an die konkrete Berufstätigkeit anknüpfendes Gutachten gestützt werden, wenn dieses keine Diagnose nach dem ICD-Schlüssel enthält.

2. Eine Umorganisation seines Betriebes, die bei einem mitarbeitenden selbständigen Friseurmeister dazu führt, dass die zuvor in erheblichem Umfang ausgeübte handwerkliche Tätigkeit vollständig wegfällt, ist ihm auch dann nicht zumutbar, wenn es sich um einen größeren Betrieb (hier: bis zu 10 festangestellte Friseure und insgesamt 15-19 Mitarbeiter) handelt.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Aktenzeichen 8 O 2896/15)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 25.06.2021 - 8 O 2896/15 - wird mit der Maßgabe, dass der Tenor klarstellend wie folgt gefasst wird, zurückgewiesen:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte seit 01.12.2015 und danach für die Dauer der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit des Klägers, längstens bis zum Vertragsende zum 31.01.2027, zur monatlichen Zahlung der vertraglich vereinbarten Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.091,00 EUR zuzüglich 545,50 EUR Bonusrente verpflichtet ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Rentennachzahlung in Höhe von 6.546,00 EUR nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 18.11.2015 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte den Kläger von der Pflicht zur Beitragszahlung während der Dauer der Berufsunfähigkeit seit August 2015 freizustellen und die für die Zeit seit Eintritt der Berufsunfähigkeit gezahlten Beträge in Höhe von 146,49 EUR monatlich an den Kläger zurückzuerstatten hat.

4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 867,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 18.11.2015 durch Zahlung an die Prozessbevollmächtigte des Klägers freizustellen.

II. Die Kosten des Rechtsstreites beider Instanzen trägt die Beklagte.

III. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 81.389,58 EUR festgesetzt

(1.635,50 EUR × 42 Monate = 68.691,00 EUR, 146,49 EUR × 42 Monate = 6.152,58 EUR, Zahlungsanspruch 6.546,00 EUR).

 

Gründe

I. Der am 21.10.1966 geborene Kläger ist von Beruf Friseurmeister und schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten zum 01.02.2002 eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab, die zum 31.01.2027 planmäßig endet. Der Kläger ist seit 1993 als selbständiger Friseurmeister tätig. Zuletzt betrieb er von 2003 bis 2015 einen Salon, in dem er wechselnd ca. 15 bis 19 Mitarbeiter beschäftigte, darunter durchschnittlich drei Lehrlinge pro Jahr, zwei Rezeptionistinnen und eine Kosmetikerin. Zuletzt zahlte er Beiträge in Höhe von 146,49 EUR monatlich und hatte eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.091,00 EUR zzgl. 545,50 EUR Bonusrente zu erwarten. Die Versicherungsbedingungen (Anlage K9) enthalten unter anderem folgende Regelungen:

§ 1

(1) Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande ist, ihrem zuletzt vor Eintritt dieses Zustandes ausgeübten Beruf nachzugehen.

(2) Übt die versicherte Person jedoch nach Eintritt dieses Zustandes eine andere, ihre Ausbildung und Erfahrung sowie bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit aus und ist sie dazu aufgrund ihrer gesundheitlichen Verhältnisse zu mehr als 50 % in der Lage, liegt keine Berufsunfähigkeit vor.

...

(4) Wird uns nachgewiesen, dass ein in Absatz 1 oder 3 beschriebener Zustand für einen Zeitraum von sechs Monaten ununterbrochen vorgelegen hat, gilt dieser Zustand von Beginn an als Berufsunfähigkeit.

Im Januar 2004 wurde der Kläger an der linken Hand wegen Fibromatose der Strecksehnen (gutartige Bindegewebswucherung) operiert. Am 18.07.2014 stellte er sich u. a. wegen Schmerzen in beiden Armen, die von der Halswirbelsäule bis in die Hände zögen und links stärker seien, bei seinem Hausarzt vor. Es wurde Arbeitsunfähigkeit festgestellt, und seine Krankentagegeldversicherung erbrachte daraufhin Leistungen. Diese teilte im Juli 2015 mit, dass sie die Zahlungen wegen Vorliegens von Berufsunfähigkeit einstellen werde (Anlage K 3). Der Kläger stellte daraufhin um Juli 2015 einen Antrag bei der Beklagten auf Zahlung von Berufsunfähigkeitsrente. Die Beklagte beauftragte die Firma G ..., die eine Befragung des Klägers durchführte (Anlage K9). Sie lehnte ihre Eintrittspflicht mit Schreiben vom 28.09.2015 (Anlage K4) mit der Begründung ab, es sei dem Kläger eine Umorganisation seiner be...

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