Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzanfechtung. Gesamtvollstreckungsverwalter. Kennenmüssen der Zahlungsunfähigkeit. Zahlungen des Gemeinschuldners an den Sozialversicherungsträger. Gläubigerbenachteiligung. Masseschulden. Rückgewähranspruch

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Gesamtvollstreckungsverwalter kann Zahlungen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge des Gemeinschuldners an den Sozialversicherungsträger nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO anfechten, wenn dieser die Zahlungsunfähigkeit des Gemeinschuldners kannte oder hätte kennen müssen. Der Sozialversicherungsträger ist zur Rückgewähr der Zahlungen analog § 37 KO verpflichtet.

2. Die Anfechtung im Rahmen der Gesamtvollstreckung betrifft die Interessen der verschiedenen Gläubiger untereinander. Eine Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn durch die Zahlungen des Gemeinschuldners an den Sozialversicherungsträger die Aktivmasse, die nicht zur Befriedigung aller Gläubiger ausreicht, weiter geschmälert wurde. Forderungen von Sozialversicherungsträgern, die bereits vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens entstehen, können die zur Verfügung stehende Masse genau wie die Forderungen der übrigen Gläubiger verringern.

 

Normenkette

KO § 37; GesO § 10 Abs. 1 Nr. 4 2. Alt., § 13 Abs. 1 Nr. 3b, § 17 Abs. 3 Nr. 1c; StGB § 266a; BGB § 823 Abs. 2, § 122 Abs. 2, § 242; KO § 59 Abs. 1 Nr. 3e

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Urteil vom 28.11.1996; Aktenzeichen 7 O 16/96)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 28.11.1996 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 5.000,00 abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Wert der Beschwer: Für die Beklagte über 60.000,00 DM.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Wege der Gesamtvollstreckungsanfechtung die Rückzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Mit Beschluß des Amtsgerichts Dresden vom 10.11.1995 wurde über das Vermögen des das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet (Az: 530 N 1254/95) und der Kläger zum Gesamtvollstreckungsverwalter bestellt.

Der Gemeinschuldner betrieb eine Einzelfirma. Im Zeitraum von August 1994 bis Mai 1995 wurden von ihm keine Sozialversicherungsbeiträge an die Beklagte abgeführt.

Nachdem der Gemeinschuldner mit der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen nebst Säumniszuschlägen in einer Höhe von insgesamt 127.207,02 DM in Rückstand geraten war, beantragte die Beklagte am 30.06.1995 die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Zuvor war ein Vollstreckungsversuch der Beklagten wegen der angelaufenen Rückstände fruchtlos verlaufen. Aus einem Fragebogen der Beklagten über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners vom 19. Mai 1995 ergab sich, daß der Gemeinschuldner bis auf ein Grundstück keinerlei Vermögenswerte besaß und sämtliche Baumaschinen und Fahrzeuge gemietet waren.

Im Anhörungstermin vor dem Amtsgericht Dresden am 19.07.1995 sagte der Gemeinschuldner der Beklagten zu, daß er seine Beitragsrückstände in Höhe von 127.207,02 DM in zwei Raten begleichen wolle. Der Gemeinschuldner leistete eine Rate in Höhe von 100.000,00 DM am 01.08.1995 und eine weitere Rate in Höhe von 27.207,02 DM am 25.08.1995 an die Beklagte. Daraufhin nahm die Beklagte ihren Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens am 30.08.1995 zurück.

Am 22.09.1995 stellte ein anderer Gläubiger einen Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen des Gemeinschuldners. Aufgrund dieses Antrages wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren am 20.11.1995 eröffnet.

Bei Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens belief sich das Aktivvermögen des Gemeinschuldners auf ca. 1,34 Mio DM, dem Verbindlichkeiten in Höhe von 10,95 Mio DM gegenüberstanden. Das Aktivvermögen des Gemeinschuldners bestand zu diesem Zeitpunkt zu einem großen Teil aus streitigen Forderungen. Unter anderem war auch die streitgegenständliche Forderung bereits in voller Höhe im Aktivvermögen des Gemeinschuldners berücksichtigt. Auf die Eröffnungsbilanz des Gesamtvollstreckungsverfahrens (Bl. 57 – 104 dA) wird Bezug genommen.

Der Kläger ist der Ansicht, daß die Zahlungen des Gemeinschuldners vom 01.08.1995 und 25.08.1995 an die Beklagte der Anfechtung nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO unterliegen. Durch diese Leistungen des Gemeinschuldners sei eine Gläubigerbenachteiligung eingetreten. Aus den Gesamtumständen habe sich ergeben, daß der Gemeinschuldner im August 1995 zahlungsunfähig gewesen sei. Dies sei auch der Beklagten nach dem fruchtlosen Vollstreckungsversuch vom 19.05.1995 bekannt gewesen. Die Kenntnis der Beklagten habe sich auch aus dem Fragebogen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gemeinschuldners am 19.05.1995 ergeben. Für eine Kenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit des Gemeinschuldners habe auch gesprochen, ...

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