Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Anfechtungsrecht bei Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinem Vater nach § 1592 Nr. 1 BGB

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Anfechtungsrecht nach § 1592 Nr. 1 BGB hinsichtlich einer bestehenden Vaterschaft besteht nicht, wenn zwischen dem Kind und seinem Vater eine sozial-familiäre Beziehung besteht und der Vater für das Kind tatsächlich Verantwortung trägt.

 

Normenkette

BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 3 S. 1, § 1592 Nr. 1; GG Art. 2 Abs. 1, 6

 

Verfahrensgang

AG Hohenstein-Ernstthal (Urteil vom 10.04.2003; Aktenzeichen 1 F 0134/03)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 06.12.2006; Aktenzeichen XII ZR 164/04)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des AG - FamG - Hohenstein-Ernstthal vom 10.4.2003 (1 F 134/03) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unbegründet abgewiesen wird und die in Ziff. 3 enthaltene Vollstreckbarkeitserklärung entfällt.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

4. Der Wert des Berufungsverfahrens beträgt 2.000 EUR.

 

Gründe

I. Mit seiner am 7.3.2003 zunächst nur gegen den Beklagten zu 1 erhobenen Klage ficht der Kläger die Vaterschaft des Beklagten zu 1 zu der am 3.1.2003 geborenen Beklagten zu 2 an. Der Beklagte zu 1 ist mit der Mutter der Beklagten zu 2 verheiratet. Diese hat innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit mit dem Kläger geschlechtlich verkehrt. Nachdem die Beziehung zwischen dem Kläger und der Mutter der Beklagten zu 2 noch vor der Geburt des Kindes endete, haben die Mutter der Beklagten zu 2 und der Beklagte zu 1 ihr eheliches Zusammenleben noch vor der Geburt wieder aufgenommen und seither fortgeführt.

Der Kläger hat behauptet, nicht der Beklagte, sondern er sei der leibliche Vater des Kindes. Er hat die Verfassungswidrigkeit von § 1600 BGB a.F. geltend gemacht und beantragt, festzustellen, dass der Beklagte zu 1 nicht der Vater der Beklagten zu 2 ist.

Der Beklagte zu 1 hat sich auf die Unzulässigkeit der Klage und auf den Schutz der Familie berufen. Im Übrigen hat er behauptet, der Mutter der Beklagten zu 2 ebenfalls in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt zu haben.

Das AG hat die Klage mit (für vorläufig vollstreckbar erklärtem) Urteil vom 10.4.2003 als unzulässig abgewiesen. Gegen dieses ihm am 12.4.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 15.4.2003 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese sogleich begründet.

Im Hinblick auf den zwischenzeitlich ergangenen, die Vorschrift des § 1600 BGB a.F. teilweise für verfassungswidrig erklärenden Beschluss des BVerfG vom 9.4.2003 (1 BVR 1493/96 und 1724/01; FamRZ 2003, 816) hat der Senat das Berufungsverfahren sodann bis zu einer gesetzlichen Neuregelung ausgesetzt. Diese ist am 30.4.2004 in Kraft getreten.

Im weiteren Verlaufe des Berufungsverfahrens hat der Kläger die Klage auch gegen die Beklagte zu 2 gerichtet. Er ist der Ansicht, dass auch die Neuregelung des § 1600 BGB verfassungswidrig sei.

Er beantragt, das Urteil des AG Hohenstein-Ernstthal vom 10.4.2003 (1 F 134/03) aufzuheben und festzustellen, dass der Beklagte zu 1 nicht Vater der am 3.1.2003 geborenen Beklagten zu 2 ist.

Hilfsweise für den Fall der Unbegründetheit dieses Antrags beantragt er festzustellen, dass die Beklagte zu 2 von ihm abstammt.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen und den Hilfsantrag abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie die zur Akte gereichten Schriftsätze der Parteien verwiesen.

II. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie bleibt aber in der Sache ebenso ohne Erfolg wie die im 2. Rechtszug auch gegen das Kind gerichtete gleich lautende Klage. Dies gilt sowohl für den Haupt- als auch den Hilfsantrag.

1.a) Der Kläger ist nicht - wie mit dem Hauptantrag begehrt - berechtigt, die jedenfalls nach § 1592 Nr. 1 BGB bestehende Vaterschaft des Beklagten zu 1 anzufechten. Allerdings wendet er sich mit seiner dahingehenden Klage zutreffend nicht nur gegen den Beklagten zu 1, sondern auch gegen das Kind als nunmehrige Beklagte zu 2. Denn § 1600e Abs. 1 S. 1 in der mit Wirkung ab dem 30.4.2004 gültigen Fassung bestimmt, dass im Falle einer - wie hier - Anfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. die Klage gegen den Vater und das Kind zu richten ist; beide sind nur gemeinsam passivlegitimiert.

Gleichwohl fehlt es dem Kläger am Anfechtungsrecht. Nach § 1600 Abs. 2 BGB n.F. setzt die Anfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. nämlich voraus, dass zwischen dem Kind und seinem Vater nach § 1592 Nr. 1 BGB keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Eine solche nimmt § 1600 Abs. 3 S. 1 BGB n.F. dann an, wenn der Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt. Hiervon soll wiederum nach § 1600 Abs. 3 S. 2 BGB n.F. i.d.R. dann auszugehen sein, wenn der Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. Diese Voraussetzungen aber sind vorliegend erfüllt. D...

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