Leitsatz (amtlich)

1. Bei nachhaltiger und dauerhafter Überschuldung ist es i.d.R. zumutbar, den Unterhaltsschuldner auf die Einleitung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens und einer Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff., 304 InsO zu verweisen.

2. Unterhaltsrechtlich hat dies zur Folge, dass sich der Schuldner auf bestehende Verbindlichkeiten ggü. dem Unterhaltsberechtigten nicht berufen kann.

 

Normenkette

BGB § 1603; InsO § 286 ff., § 304

 

Verfahrensgang

AG Meißen (Aktenzeichen 6 F 0279/02)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des AG – FamG – Meißen vom 9.9.2002 aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, in Abänderung des Vergleichs vom 27.4.1999 und des Versäumnisurteils des AG – FamG – Meißen vom 27.5.2002 an die Kläger eine monatliche Unterhaltsrente in folgender Höhe zu zahlen:

Vom 1.8.2001 bis 31.12.2001 jeweils 523 DM,

  • vom 1.1.2002 bis 30.11.2002 jeweils 260,00 Euro sowie
  • an den Kläger zu 2 ab dem 1.12.2002 260,00 Euro.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Berufung des Klägers zu 1) wird verworfen, soweit er eine Abänderung über den 30.11.2002 hinaus begehrt.

III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu 5/6, die Kläger zu je 1/12.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

 

Gründe

I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des AG – FamG – Meißen vom 9.9.2002 ist überwiegend begründet.

1. Den Klägern steht ein Anspruch auf Abänderung des gerichtlichen Vergleiches vom 27.4.1999 aus den seit dem 1.1.2002 in § 313 BGB kodifizierten Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu. Dieser Anspruch kann mit der Abänderungsklage nach § 323 ZPO geltend gemacht werden, die Abänderung richtet sich allerdings nicht nach § 323 Abs. 2, 3 ZPO, sondern ausschließlich nach den Regelungen des materiellen Rechts (BGH NJW 1995, 1892; OLG Hamm v. 17.4.1997 – 2 UF 348/96, OLGReport Hamm 1997, 203 = NJW-RR 1998, 78; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 323 Rz. 44; OLG Dresden, Urt. v. 14.11.2002 – 10 UF 624/02). Entscheidend ist, ob die Vertragsparteien den Vergleich von Veränderungen unabhängig abschließen wollten oder nicht. Bei der Anpassung einer in einem Vergleich vereinbarten Unterhaltsrente muss aber die Grundlage des Vergleichs gewahrt werden (BGH NJW 1992, 1622; OLG Hamm FamRZ 1999 1510). Grundlage des zwischen den Parteien geschlossenen Vergleichs war ein Einkommen des Beklagten, das der Höhe nach der Gruppe 2 der Sächsischen Unterhaltsleitlinien (Stand 1.8.1998), mithin 2.550 DM bis 2.940 DM entsprach sowie die in § 1612a BGB a.F. enthaltene hälftige Kindergeldanrechnung. Die Voraussetzungen für eine Abänderung liegen bei dieser Sachlage bereits wegen der geänderten Kindergeldanrechnung in § 1612a Abs. 5 BGB und der Änderung der Regelbedarfsbeträge, die Ausdruck der gestiegenen Lebenshaltungskosten sind, vor. Für den Kläger zu 2) kommt ein Hineinwachsen in die 3. Altersstufe hinzu. Dies reicht für eine Abänderung aus.

a) Der Bedarf der Kläger ab dem Zeitpunkt, für den die Abänderung geltend gemacht wird, bemisst sich nach den in dem Vergleich vereinbarten Berechnungsgrundlagen unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Änderungen. Hierbei ist für den Beklagten unverändert das dem Vergleich zugrunde gelegte Einkommen i.H.d. Einkommensgruppe 2 der Sächsischen Unterhaltstabelle (Stand 1.8.1998) zugrunde zu legen. Dieses beträgt durchschnittlich 2.745 DM (1.403,50 Euro). Zwar ist der Beklagte seit dem 1.2.2001 nicht mehr als Geschäftsführer tätig. Vielmehr bezog er vom 1.2.2001 bis 31.8.2001 Sozialhilfe, war daneben ab dem 1.9.2001 zu einem Stundensatz von 1,50 Euro beim … tätig und ist seit dem 1.9.2002 mit einem Bruttoverdienst von 1.045 Euro im Rahmen des Programmes I. … (…) beschäftigt. Entgegen der Auffassung des AG ist ihm jedoch sein bis zum Ausscheiden aus der Geschäftsführertätigkeit gezahltes Nettoentgelt in der o.a. Höhe fiktiv zuzurechnen. Denn den Beklagten trifft gem. § 1603 Abs. 1 S. 1 BGB eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit ggü. den minderjährigen Klägern. Sie besteht auch über den 15.11.2002 ggü. dem Kläger zu 1), der weiterhin im Haushalt der Mutter lebt und das Gymnasium besucht, nach § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB fort. Ein unterhaltspflichtiger Elternteil muss hiernach ggü. seinem minderjährigen oder einem diesem gleichstehenden unverheirateten Kind alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um so viel zu verdienen, dass er den Mindestunterhalt auch unter Wahrung seines eigenen Selbstbehaltes leisten kann. Dabei obliegt ihm eine erhöhte Arbeitspflicht unter gesteigerter Ausnutzung seiner Arbeitskraft: Er ist unter Umständen verpflichtet, in zumutbaren Grenzen einen Orts- oder Berufswechsel vorzunehmen oder Arbeiten unterhalb seines Ausbildungsniveaus – auch Aushilfstätigkeiten – zu übernehmen (BGH v. 15.12.1993 – XII ZR 172/92, MDR 1994, 483 = FamRZ 1994, 372; OLG Dresden v. 30.4.2002 – 10 UF 67/02; v. 16.7.1998 – 10 WF 384/97; Wendl/Staudig...

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