Leitsatz (amtlich)

Streiten Eltern über die Durchführung einer Covid-19-Schutzimpfung für ihr gemeinsames Kind, so kommt eine Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis hierfür auf denjenigen Elternteil, der eine solche Impfung befürwortet, im Wege eines Eilverfahrens jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die erforderliche Aufklärung des über 14 Jahre alten Kindes, obwohl von diesem ausdrücklich erbeten, weder stattgefunden hat noch betrieben wird und das Kind (auch) deswegen die Impfung ablehnt.

 

Verfahrensgang

AG Leipzig (Aktenzeichen 333 F 3637/21)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der betroffenen Jugendlichen wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Leipzig vom 03.12.2021 aufgehoben und der Antrag des Vaters auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Vater zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die betroffene 14-jährige Jugendliche R ... S ... ist die ältere Tochter ihrer getrenntlebenden, gemeinsam sorgeberechtigten Eltern. R ... lebt gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester L ..., geboren am xx.xx.2010, im Haushalt der Mutter und hat regelmäßig Kontakt zu ihrem Vater.

Nach vielfachen gerichtlich ausgetragenen Streitigkeiten zum Unterhalt und zum Umgangsrecht finden die Eltern keine Einigkeit darüber, ob R ... gegen das Corona-Virus geimpft werden soll.

Der Vater möchte, dass diese Impfung bei R ... vorgenommen wird. Er orientiert sich an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts und verweist auf die aktuelle Corona-Situation. Derzeit infizierten sich wöchentlich 3 % der Jugendlichen in R ...s Altersgruppe. Es gehe ihm auch um den Schutz der Angehörigen und der Gesellschaft. Er habe diesbezüglich mehrfach bei der Mutter angefragt; diese lehne eine entsprechende Impfung jedoch ab.

Der Vater hat daher beantragt, ihm im Wege einer einstweiligen Anordnung die Befugnis zur alleinigen Entscheidung über die Impfung von R ... gegen das SARS-CoV-2-Virus zu übertragen.

Die Mutter ist dem Antrag des Vaters entgegengetreten und hat dabei auch die Eilbedürftigkeit von dessen Begehren in Frage gestellt.

Das Familiengericht hat der Jugendlichen einen Verfahrensbeistand bestellt. Mit Bericht vom 30.11.2021 hat dieser mitgeteilt, die Eltern hätten mit R ... noch nicht über die Impfung gesprochen. R ... habe den Wunsch geäußert, dass die Eltern die Entscheidung darüber gemeinsam treffen und nicht von ihr eine Positionierung verlangen. Sie empfinde jede Stellungnahme als Entscheidung zwischen den Eltern. Das wolle sie nicht.

Das Familiengericht hat die Eltern, die Jugendliche und eine Vertreterin des Jugendamtes persönlich angehört.

Mit Beschluss vom 03.12.2021 hat es die vom Vater beantragte einstweilige Anordnung erlassen und zur Begründung der Eilbedürftigkeit auf die vierte Infektionswelle und die aktuell hohen Inzidenzwerte verwiesen. Ein Zuwarten auf eine Hauptsacheentscheidung wäre zwangsläufig mit dem Risiko verbunden, dass sich R ... mit dem Corona-Virus infiziere und möglicherweise schwer erkranke.

Gegen die ihr am 07.12.2021 zugestellte Entscheidung hat die Jugendliche am 16.12.2021 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung (vgl. Bl. 115 d.A.) führt sie aus, dass sie sich zur Zeit nicht impfen lassen möchte. Sie könne schlecht beurteilen, wie sich eine Impfung auf sie auswirke; in ihrem Freundeskreis sei derzeit niemand geimpft. Sie wolle deshalb zunächst ein Beratungsgespräch mit ihrer behandelnden Kinderärztin.

Der Senat hat auf Antrag des Verfahrensbeistands mit Beschluss vom 27.12.2021 die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung des Familiengerichts vom 03.12.2021 bis zur Entscheidung über die Beschwerde ausgesetzt, weil sich R ... in der Beschwerde anders als bei ihrer Anhörung vor dem Familiengericht ausdrücklich gegen eine Impfung zum jetzigen Zeitpunkt und für ein Beratungsgespräch mit ihrer Kinderärztin ausgesprochen hat.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 29.12.2021 wurden die Beteiligten zudem darauf hingewiesen, dass Zweifel an der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 49 Abs. 1 FamFG erforderlichen Eilbedürftigkeit bestehen.

Die übrigen Beteiligten haben zur Beschwerde der Jugendlichen schriftlich Stellung genommen.

Die Mutter spricht sich für ein gemeinsames Gespräch bei der R ... schon seit 2014 betreuenden Kinderärztin aus und erklärt, auch R ...s Entscheidung für eine Impfung respektieren zu wollen.

Das Jugendamt sieht kein Eilbedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung und empfiehlt den Eltern, R ...s Beratungswunsch zu akzeptieren und ihr die notwendige Zeit einzuräumen, um sich auf eine etwaige Impfung vorzubereiten und für sich eine Entscheidung treffen zu können.

Auch der Verfahrensbeistand appelliert an die Eltern, R ... möglichst schnell eine altersgemäße Aufklärung über die Impfung zu ermöglichen, denn R ... habe sich nicht generell gegen die Corona-Schutzimpfung ausgesprochen, sondern vielmehr auf ihren Beratungs- und Informati...

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