Leitsatz (amtlich)

Die Gefahr, dass ein Mädchen gambianischer Staatsangehörigkeit bei einem Aufenthalt in Gambia der dort weit verbreiteten Beschneidungszeremonie ausgesetzt wird, rechtfertigt es, der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht insoweit zu entziehen, als es um die Entscheidung geht, ob das Kind nach Gambia verbracht wird. Der vollständige Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Unterbringung des Mädchens in einer deutschen Pflegefamilie sind aber unverhältnismäßig.

 

Normenkette

BGB § 1666 Abs. 1, § 1666a

 

Verfahrensgang

AG Dresden (Beschluss vom 08.05.2003; Aktenzeichen 306 F 0010/03)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des AG – FamG – Dresden vom 8.5.2003 unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen abgeändert:

Der weiteren Beteiligten zu 1) wird das Aufenthaltsbe- stimmungsrecht für die Betroffene insoweit entzogen, als es um die Entscheidung geht, ob das betroffene Mädchen (zu Urlaubszwecken oder für einen längeren Aufenthalt) nach Gambia verbracht wird. Insoweit wird die Pflegschaft angeordnet und die weitere Beteiligte zu 3) als Pfleger eingesetzt.

2. Die Beschwerdeentscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 Euro festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde zum BGH wird zugelassen.

 

Gründe

I. Das betroffene Mädchen ist die 5-jährige Tochter der weiteren Beteiligten zu 1), ihr Vater lebt in Gambia. Die Mutter der Betroffenen heiratete am 24.11.2000 in Gambia den Zeugen B und folgte ihm zusammen mit ihrer Tochter im März 2001 nach Deutschland. Sie beabsichtigte, ihre Tochter am 8.1.2003 durch ihren deutschen Ehemann und dessen Vater nach Gambia zu verbringen, um das Kind dort in eine Vorschule zu geben und im Übrigen von ihrer Familie in Gambia betreuen zu lassen, da sie in Deutschland eine Ausbildung zur Altenpflegerin absolvieren wollte.

Das Jugendamt der Landeshauptstadt D. (die weitere Beteiligte zu 3.), hat sich am 2.1.2003 an das FamG in Dresden gewandt, das AG von der bevorstehenden Reise der Betroffenen informiert und darauf aufmerksam gemacht, dass dem Kind die pharaonische Beschneidung drohe (Bl. 1 ff. d.A.). Mit Fax vom 6.1.2003 hat die weitere Beteiligte zu 3) dem AG Riesa mitgeteilt, dass das Kind gem. § 42 SGB VIII in Obhut genommen worden sei und beantragt, der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht der Gesundheitssorge zu entziehen und diese Rechte auf das Jugendamt zu übertragen (Bl. 11 f. d.A.). Seit diesem Zeitpunkt ist das Mädchen in zwei Pflegefamilien untergebracht worden.

Die zuständige Richterin des AG Riesa hat am 7.1.2003 eine Mitarbeiterin des Jugendamts Riesa-Großenhain telefonisch über den Sachstand befragt und hierüber einen Telefonvermerk gefertigt (Bl. 22 ff. d.A.) sowie dem betroffenen Kind Frau zur Verfahrenspflegerin bestellt (Bl. 25 d.A.).

Nach Abgabe des Verfahrens an das AG Dresden durch Beschl. v. 7.1.2003 (Bl. 27 ff. d.A.) hat das FamG Dresden der weiteren Beteiligten zu 1) das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht der Gesundheitssorge für die Betroffene durch Beschl. v. 13.1.2003 vorläufig entzogen (Bl. 37 f. d.A.). Das AG Dresden hat am 10.2.2003 eine mündliche Verhandlung durchgeführt (Bl. 57 f. d.A.). Die weitere Beteiligte zu 2) hat mit Schriftsätzen vom 18.3.2003 und 11.4.2003 zusätzliche Informationen zum Thema der Genitalverstümmelung in Gambia in das Verfahren eingeführt (Bl. 61 ff. sowie 69 ff. d.A.). In der Akte befinden sich darüber hinaus diverse Schriftsätze des Vereins „TARGET”, den die Ex-Ehefrau des Vaters des deutschen Ehemanns der weiteren Beteiligten zu 1), die Zeugin A, von dem Sachverhalt in Kenntnis gesetzt hatte (Bl. 4, 5 f., 13, 14 f., 59, 74 ff.).

Beamte der Polizeidirketion Riesa haben über ein Gespräch mit dem Zeugen B am 27.12.2002 einen Tätigkeitsnachweis gefertigt (Bl. 16 d.A.)

Nach mündlicher Verhandlung am 30.4.2003 (Bl. 82 ff. d.A.) hat das AG der Mutter durch Beschl. v. 8.5.2003 das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht der Gesundheitssorge für das betroffene Mädchen entzogen und insoweit die Pflegschaft der weiteren Beteiligten zu 3) angeordnet. Das AG hat zur Begründung ausgeführt, dass das Kindeswohl gefährdet sei, weil die Beschneidung des Kindes in Gambia wahrscheinlich sei. Die Beschneidung werde in Gambia nach wie vor praktiziert, sie sei tief in der Tradition verwurzelt. Die Haltung der Kindesmutter zu einer Beschneidung ihres Kindes sei nicht entscheidend, es entscheide letztlich die gesamte Verwandtschaft des Kindes. Mildere Mittel als die hier gefällten Entscheidungen zum Sorgerecht seien nicht erkennbar, die Hinterlegung des Reisepasses des Kindes verhindere nicht, dass das Kind nach Gambia gebracht werden könne (Bl. 89 ff. d.A.).

Diese Entscheidung ist der weiteren Beteiligten zu 1) am 12.5.2003 zugestellt worden (Bl. 93 d d.A.).

Am 6.6.2003 ist die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1) gegen den vorerwähnten Beschluss beim OLG Dresden eingegang...

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