Leitsatz (amtlich)

›1. Ein Verhandeln zur Hauptsache i.S.v. § 345 ZPO setzt nicht voraus, dass Sachanträge gestellt werden. Es genügt, dass nach Erörterung von Streitfragen materiell- oder prozessrechtlicher Art ein Verweisungsantrag gemäß § 281 Abs. 1 ZPO gestellt wird.

2. Der Auslegungsgrundsatz, wonach bei Unklarheit über die Art des eingelegten Rechtsbehelfs davon auszugehen ist, dass die Partei das prozessual "Vernünftige" anstrebt, ist auch dann anwendbar, wenn mangels Erfüllung der jeweiligen Zulässigkeitsvoraussetzungen keiner der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe Erfolg verspricht.‹

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 2 O 11313/98)

 

Gründe

I. Die Klägerin erwirkte bei dem Amtsgericht Leipzig im schriftlichen Verfahren ein Versäumnisurteil über 9.699,02 DM nebst Zinsen gegen den Beklagten. Auf dessen fristgerechten Einspruch wurde Termin zur mündlichen Verhandlung über Einspruch und Hauptsache auf den 02.12.1998 bestimmt. Zum Termin erschienen nach Aufruf der Sache der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und der Beklagte persönlich. Der Beklagte übergab ein Schreiben vom 25.11.1998, in welchem er folgende Anträge ankündigte:

1. die Klage insgesamt abzuweisen in allen Punkten der Klageschrift,

2. der Klägerin die entstandenen Verfahrenskosten sowie aller Nebenkosten aufzuerlegen,

3. meine Schadensforderung durch unberechtigten Einzug des Fahrzeuges ... vom 22.01.1998, Betragshöhe 14.731,50 DM brutto und 115,35 DM brutto sowie bis heute angefallene Nebenkosten zuzulassen und für rechtens zu erklären.

Eine Abschrift dieses Schreibens wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausgehändigt. Ausweislich des Sitzungsprotokolls erörterte das Gericht mit den Erschienenen die Sach- und Rechtslage. Sachanträge wurden nicht gestellt. In dem Protokoll heißt es u. a.: "... Beide Parteien werden gem. § 506 darauf hingewiesen, dass nach Einreichung der Widerklage in Höhe von 14.731,50 DM die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Leipzig nicht mehr gegeben ist. Der Beklagte erklärt hierauf: Es wird beantragt, den Rechtsstreit an das zuständige Landgericht Leipzig zu verweisen ..."

Das Amtsgericht erklärte sich daraufhin für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Leipzig.

In dem auf den 30.04.1999 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen wiederum der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und der Beklagte persönlich. Auf Antrag der Klägerin wurde ein Versäumnisurteil verkündet, dessen Tenor in den Ziff. 1 und 2 wie folgt lautet:

1. Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Leipzig vom 21.10.1998 bleibt aufrechterhalten.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

Dieses Urteil wurde dem Beklagten am 19.05.1999 zugestellt. Mit Schreiben vom 06.05.1999, welches von ihm selbst unterzeichnet war und am 07.05.1999 beim Landgericht einging, erhob der Beklagte "Einspruch gegen das am Freitag, dem 30.04.1999, verkündete Versäumnisurteil" und legte "das Rechtsmittel der Berufung" ein. Des Weiteren beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Mit Schreiben vom 03.06.1999, welches ebenfalls von ihm selbst unterzeichnet war und am 07.06.1999 beim Landgericht einging, "erneuerte" der Beklagte sein Rechtsmittel.

Mit Beschluss vom 09.07.1999 verwarf das Landgericht den "Einspruch gegen das Versäumnisurteil zu Ziff. 2" und legte die Sache zur Entscheidung über "die Berufung des Beklagten" dem Oberlandesgericht vor.

II. Eine Berufung ist nicht eingelegt.

1. Bei dem angefochtenen Urteil des Landgerichts Leipzig vom 30.04.1999 handelt es sich nicht um ein "zweites" Versäumnisurteil i.S.v. § 345 ZPO, sondern um ein zweites "erstes" Versäumnisurteil gem. §§ 331 Abs. 1, Abs. 2, Halbs. 1, 343 Satz 1 ZPO.

Voraussetzung für den Erlass eines "zweiten" Versäumnisurteils gem. § 345 ZPO ist, dass die durch (echtes) Versäumnisurteil verurteilte Partei Einspruch eingelegt hat und in dem darauf bestimmten Termin zur Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache nicht erscheint oder nicht zur Hauptsache verhandelt. In dem Termin vom 02.12.1998 vor dem Amtsgericht Leipzig wurde indessen "zur Hauptsache verhandelt". Das Verhandeln i.S.v. § 345 ZPO erfordert nicht, dass Sachanträge gestellt werden. Es genügt vielmehr, dass die Parteien über einen außerhalb des Prozessgeschehens liegenden Streitpunkt materiell- oder prozessrechtlicher Art, etwa über die örtliche Zuständigkeit verhandeln (vgl. BGH, NJW 1967, 728). Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 02.12.1998 ist mit den Parteien die Sach- und Rechtslage erörtert worden. Dabei ging es, wie aus dem vermerkten richterlichen Hinweis auf den unzureichenden Beweisantritt des Beklagten zu dem von ihm erhobenen Erfüllungseinwand hervorgeht, auch um die Hauptsache. Mithin haben die Parteien i.S.d. § 345 ZPO zur Hauptsache verhandelt.

Dementsprechend ist das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 30.04.1999 trotz des vorangegangenen, im schriftlichen Verfahren erlassenen Versäumnisurteils des Amtsgerichts als "erstes" Versäumnisurteil anzusehen. Im Übrigen ist das Versä...

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