Leitsatz (amtlich)

›1. Wird dieselbe Forderung im einen Rechtsstreit klageweise und im anderen Rechtsstreit aufrechnungsweise geltend gemacht, so kommt eine Aussetzung des Prozesses, in dem die Forderung eingeklagt ist, bis zur Entscheidung des Verfahrens, in dem mit ihr aufgerechnet worden ist, nur ausnahmsweise in Betracht. Zulässigkeitsvoraussetzung ist in jedem Fall, daß die Forderung im Aufrechnungsprozeß nicht nur in das Verfahren eingeführt wurde, sondern daß aller Voraussicht nach auch mit einer Entscheidung über sie zu rechnen ist.

2. Dies setzt zweierlei voraus: a) Die im Aufrechnungsprozeß eingeklagte Hauptforderung muß unstreitig sein (Primäraufrechnung), oder aber - wenn nur hilfsweise aufgerechnet worden ist - es muß schon jetzt aller Voraussicht nach damit zu rechnen sein, daß die gegen die Hauptforderung in erster Linie erhobenen Einwendungen nicht begründet sind. b) Die Aufrechnung muß zulässig sein.‹

 

Gründe

I. Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht eine Kaufpreisforderung aus einem 1989 zwischen dem VEB M. und dem VEB W. geschlossenen Wirtschaftsvertrag geltend. Gegenstand des Vertrages war die Lieferung von Werkzeugvoreinstellgeräten, die vom - ... aus der Tschechoslowakei importiert werden sollten. Die Zahlungsklage über 343.053,56 DM wurde am 30.10.1992 beim Kreisgericht Chemnitz-Stadt eingereicht. Das Verfahren ging aufgrund der im Freistaat Sachsen am 01.01.1993 in Kraft getretenen neuen Gerichtsorganisation auf das Landgericht Chemnitz (Kammer für Handelssachen) über. Mit Schriftsatz vom 16.02.1993 hat die Klägerin mitgeteilt, daß zwischen den Parteien ein Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf anhängig sei, in dem die beim Landgericht Chemnitz eingeklagte Forderung zur Aufrechnung gestellt worden sei. Im Hinblick auf die Aufrechnung hat die Klägerin beantragt, das Verfahren vor dem Landgericht Chemnitz bis zur Entscheidung des beim Landgericht Düsseldorf anhängigen Rechtsstreits ruhen zu lassen. Die Beklagte ist dem Antrag entgegengetreten. Mit Beschluß vom 31.03.1993 hat das Landgericht Chemnitz die Verhandlung bis zur Erledigung des vor dem Landgericht Düsseldorf schwebenden Verfahrens ausgesetzt. Gegen diesen Beschluß hat die Beklagte Beschwerde eingelegt.

II. Die Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung. Nach dem derzeitigen Sachstand ist die Aussetzung des vor dem Landgericht Chemnitz schwebenden Verfahrens nicht zulässig.

1. § 148 ZPO sieht die Möglichkeit der Aussetzung des Rechtsstreits vor, wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet. Zweck der Vorschrift ist, die doppelte Prüfung derselben Frage in zwei verschiedenen Verfahren zu vermeiden und der Gefahr divergierender Entscheidungen entgegenzuwirken (Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl., § 148 Rdn. 4). Entsprechend diesem Zweck ist die gesetzliche Voraussetzung, daß das Rechtsverhältnis "den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet", dahin zu präzisieren, daß das betreffende Rechtsverhältnis nicht nur von den Parteien im anderen Prozeß geltend gemacht und in das Verfahren eingeführt worden ist, sondern daß aller Voraussicht nach auch mit einer Entscheidung über dieses Recht oder den betreffenden Anspruch zu rechnen ist; denn nur dann kommt es in beiden Verfahren, wenn nicht ausgesetzt wird, zur doppelten Prüfung derselben Frage mit der Gefahr unterschiedlicher Entscheidungen.

Im hier zu beurteilenden Fall der klageweisen und aufrechnungsweisen Geltendmachung derselben Forderung müssen, wenn es darum geht, ob im Prozeß, in dem aufgerechnet worden ist, mit einer Entscheidung über die zur Aufrechnung gestellte Forderung zu rechnen ist, zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens: Die im Aufrechnungsprozeß eingeklagte Hauptforderung muß unstreitig sein (Primäraufrechnung), oder aber dies, wenn nur hilfsweise aufgerechnet worden ist es muß schon jetzt aller Voraussicht nach damit zu rechnen sein, daß die gegen die Hauptforderung in erster Linie erhobenen Einwendungen nicht begründet sind. Zweitens muß die Aufrechnung zulässig sein. Nur wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, kann von einer Entscheidung über die aufgerechnete Forderung im Aufrechnungsprozeß ausgegangen werden.

Vorliegend ist im angefochtenen Beschluß nicht festgestellt und ist auch sonst nicht ersichtlich, daß diese Voraussetzungen gegeben sind. Daher ist der Beschluß nach dem derzeitigen Verfahrensstand aufzuheben.

2. Bei der erneuten Entscheidung über den klägerischen Aussetzungsantrag wird das Landgericht u.a. folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben, die entweder allgemein oder speziell im vorliegenden Fall gegen eine Verfahrensaussetzung sprechen und die möglicherweise zur Zurückweisung des Antrags Anlaß geben, noch bevor das Landgericht die notwendigen weiteren Feststellungen getroffen hat, ob im Düsseldorfer Verfahren mit einer Entscheidung über die dort aufgerechnete Forderung zu rec...

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