Normenkette

BGB § 253 Abs. 2, §§ 254, 280, 1612; RegelbetragsVO

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Urteil vom 27.07.2006; Aktenzeichen 5 O 158/06)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 27.7.2006 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Verden teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für das Kind S, geb. am 14.3.2006, monatlich im voraus, beginnend mit dem 1.3.2006, bis zum Eintritt der Volljährigkeit (30.3.2024) 75 % des Unterhaltsschadens i. H. v. 270 % des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe der Regelbetragsverordnung abzgl. des jeweils gezahlten Kindergeldes zu zahlen.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.375 EUR zzgl. Zinsen i. H. v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.5.2006 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten der ersten Instanz werden der Klägerin zu 10 % und dem Beklagten zu 90 % auferlegt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Es wird zunächst auf die tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Mit ihrer Berufung begehrt die Klägerin teilweise Änderung der angefochtenen Entscheidung. Während sie die Abweisung hinsichtlich eines Teilbetrages ihres materiellen Schadens hinnimmt, wendet sie sich zum einen gegen die Annahme eines 50%igen Mitverschuldens, zum anderen dagegen, dass das LG für den Zeitraum ab dem 12. Lebensjahr lediglich einen geminderten Betreuungsbedarf angenommen hat. Demgemäß führt sie die Berufung mit dem Ziel, für den gesamten Zeitraum bis zur Volljährigkeit ihrer Tochter 75 % des Unterhaltsschadens i.H.v. 270 % des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe der Regelbetragsverordnung zu erstreiten.

Sie meint, dass allenfalls ein Mitverschulden von 25 % anzusetzen sei; als Patientin und medizinischer Laie müsse sie sich auf die Verschreibung des Arztes verlassen können. Auf Grund des Freizeitverhaltens größerer Kinder und Jugendlicher sei es nicht gerechtfertigt, den Betreuungsbedarf ab dem 12. Lebensjahr zu reduzieren.

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vortrages.

Die Berufung ist begründet.

Zutreffend hat das LG einen Behandlungsfehler des Beklagten bejaht, der diesen zum Ersatz des der Klägerin entstehenden Unterhaltsschadens verpflichtet.

Zwar hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die rechtliche Anerkennung eines derartigen Schadens grundsätzlich in Zweifel gezogen, der Senat sieht aber auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH keine Möglichkeit, der vom Beklagten vertretenen Ansicht zu folgen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind die mit der Geburt eines nicht gewollten Kindes für die Eltern verbundenen wirtschaftlichen Belastungen, insbesondere die Aufwendungen für dessen Unterhalt, als ersatzpflichtiger Schaden auszugleichen, wenn der Schutz vor solchen Belastungen Gegenstand des jeweiligen Behandlungs- oder Beratungsvertrages war (vgl. zuletzt BGH-Urt. v. 14.11.2006 - VI ZR 48/06, GesR 2007, 68 = BGHReport 2007, 105). Diese - am Vertragszweck ausgerichtete - Haftung des Arztes oder Krankenhausträgers ist vom BGH insbesondere bejaht worden für Fälle fehlgeschlagener Sterilisationen aus Gründen der Familienplanung (BGH v. 18.3.1980 - VI ZR 247/78, BGHZ 76, 259 = MDR 1980, 745/262; BGH v. 27.6.1995 - VI ZR 32/94, MDR 1995, 1015 = VersR 1995, 1099/1101), bei fehlerhafter Beratung über die Sicherheit der empfängnisverhütenden Wirkungen eines vom Arzt verordneten Hormonpräparates (BGH v. 3.6.1997 - VI ZR 133/96, VersR 1997, 1422 ff.) sowie für Fälle fehlerhafter genetischer Beratung vor Zeugung eines genetisch behinderten Kindes (BGH v. 16.11.1993 - VI ZR 105/92, BGHZ 124, 128 ff. = MDR 1994, 556) Diese Rechtsprechung des BGH hat das BVerfG mit Beschluss des 1. Senats vom 12.11.1997 als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet (BVerfG v. 12.11.1997 - 1 BvR 479/92, 307/94, BVerfGE 96, 375, 297 ff.).

Der Streitfall gehört nach den Feststellungen des LG, die gem. § 529 Abs. 1 ZPO für den Senat bindend sind, zu diesen Fallgruppen. Eine Haftung des Beklagten dem Grunde nach ist daher zu bejahen.

Auf Grund des Behandlungsfehlers ist der Beklagte zum Ersatz des Unterhaltsschadens verpflichtet. Dabei geht es in Fällen der vorliegenden Art - jenseits aller weltanschaulichen Erwägungen und aller Überlegungen, die das Eltern-Kind-Verhältnis betreffen - lediglich darum, dass eine von den Eltern nicht gewünschte Belastung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Vertragsverletzung des Arztes herbeigeführt wird und dieser Vertragsverletzung zuzurechnen ist (vgl. grundsätzlich BGH v. 16.11.1993 - VI ZR 105/92, BGHZ 124, 128 = MDR 1994, 556/138 sowie BVerfGE 1996, 275/400). Der Arzt, der einen vom Patienten gewünschten Erfolg verspricht, diesen aber durch fehlerhafte Behandlung vereitelt, soll für die dadurch verursachte Belastung haft...

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