Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzbedürfnis für Ehrenschutzklagen gegen ehrenkränkende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem Gerichtsverfahren oder dessen konkreter Vorbereitung dienen

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Rechtsschutzbedürfnisses einer Unterlassungsklage gegen ehrenkränkende Äußerungen, die in einem vorgerichtlichen anwaltlichen Schreiben erfolgt sind.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Urteil vom 16.09.2011)

 

Tenor

Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten zu 1 wird das Urteil der 8. Zivilkammer - Einzelrichterin - des LG Verden vom 16.9.2011 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Gründe

I. Die Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) macht im Wege der einstweiligen Verfügung Unterlassungsansprüche gegen die Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagte) geltend. Dem liegt ein vorgerichtliches anwaltliches Schreiben zugrunde, das der Beklagte zu 2 als Rechtsanwalt namens und in Vollmacht des Beklagten zu 1 u.a. an die Klägerin versandt hat, in dem Schadensersatzansprüche i.H.v. rd. 1.700.000 EUR geltend gemacht werden. In diesem Schreiben werden u.a. die Formulierungen "Verlogenheit und Durchtriebenheit der für die B. GmbH (Anmerkung des Senats: Der hiesigen Klägerin) handelnden Personen" sowie "Machenschaften der B. GmbH" verwendet, gegen die die Klägerin sich wendet. Das LG hat die Klage gegen den Beklagten zu 2 abgewiesen und der Klage gegen den Beklagten zu 1 stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten zu 1.

Von einer weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird gem. §§ 540 Abs. 2, 542 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung des Beklagten zu 1 hat Erfolg. Der im Berufungsverfahren noch anhängige Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten zu 1 besteht nicht. Wie bereits in dem Hinweisbeschluss vom 10.1.2012 ausgeführt, haben die Klägerin wie auch das LG übersehen, dass es der vorliegenden Ehrenschutzklage am Rechtsschutzbedürfnis fehlt.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH können ehrenkränkende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem Gerichtsverfahren oder dessen konkreter Vorbereitung dienen, in aller Regel nicht mit Ehrenschutzklagen abgewehrt werden. Das sog. Ausgangsverfahren soll nämlich nicht durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden. Vielmehr sollen die Parteien in einem Gerichtsverfahren sowie außergerichtlichen Schreiben, die deren konkreter Vorbereitung dienen, alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen berührt wird. Deshalb fehlt in derartigen Fällen für eine Ehrenschutzklage grundsätzlich das Rechtschutzbedürfnis (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Urt. v. 28.2.2012 - VI ZR 79/11, juris Rz. 7; BGH, Urt. v. 11.12.2007 - VI ZR 14/07, juris Rz. 12; BGH, Urt. v. 16.11.2004 - VI ZR 298/03, juris Rz. 18). Dies gilt lediglich nicht bei "wissentlich unwahren oder leichtfertig unhaltbaren" (so BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss v. 15.12.2008 - 1 BvR 1404/04, juris Rz. 18) bzw. "bewusst unwahren oder auf der Hand liegend falschen" Tatsachenbehauptungen (so BGH, Urt. v. 28.2.2012 - VI ZR 79/11, juris Rz. 14; BGH, Urt. v. 11.12.2007 - VI ZR 14/07, juris Rz. 14, 21 f., im Ergebnis allerdings jeweils offengelassen) sowie - im Falle von Meinungsäußerungen - bei Schmähkritik (BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 25.9.2006 - 1 BvR 1898/03, juris Rz. 8 f., 14; BGH, a.a.O.).

Nach dieser Maßgabe fehlt dem Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung das Rechtschutzbedürfnis.

a) Das streitgegenständliche, von dem Beklagten zu 2 verfasste Schreiben vom 14.8.2011 diente der konkreten Vorbereitung eines etwaigen Gerichtsverfahrens. Mit diesem anwaltlichen Schreiben sind gegenüber der Klägerin angebliche Ansprüche des Beklagten zu 1 i.H.v. 1.685.166,02 EUR geltend gemacht worden.

b) Die streitgegenständlichen Äußerungen, gegen die die Klägerin sich vorliegend wendet, stellen Meinungsäußerungen dar. Streitgegenständlich ist zunächst die Äußerung, die für die Klägerin handelnden Personen seien verlogen und durchtrieben. Damit wird eine generelle Charaktereigenschaft aller für die Klägerin tätigen Personen behauptet. Diese Behauptung ist nicht dem Wahrheitsbeweis zugänglich, vielmehr ist sie von den Elementen der Stellungnahme, des Meinens und Dafürhaltens geprägt. Gleiches gilt für die im Weiteren streitgegenständliche Formulierung "Machenschaften der Klägerin".

c) Die beanstandeten Äußerungen des Beklagten stellen keine im Rahmen eines vorgerichtlichen Schriftverkehrs unzulässige Schmähung dar.

Eine Äußerung nimmt den Charakter einer Schmähung erst dann an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person des Gegners im Vordergrund steht und sie jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Pers...

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