Leitsatz (amtlich)

1. Die Begehung einer Untreue durch einen Rechtsanwalt stellt eine schuldhafte Pflichtverletzung i.S.d. § 113 BRAO dar, auch wenn die Handlung im Zusammenhang mit einem notariellen Verwahrungsgeschäft erfolgt ist.

2. Der Vorrang des notariellen Disziplinarverfahrens (§ 110 BNotO) hindert ein anwaltsgerichtliches Verfahren nicht, wenn der Rechtsanwalt zwischenzeitlich seines Notaramtes enthoben worden ist und ein notarielles Disziplinarverfahren damit nicht mehr durchgeführt werden kann.

3. Eine Untreuehandlung stellt einen so gravierenden Verstoß gegen die Kernpflicht anwaltlicher Tätigkeit dar, dass die Ausschließung aus der Anwaltschaft die regelmäßige Folge ist.

 

Normenkette

BRAO §§ 43, 113-114; BNotO § 110

 

Verfahrensgang

AnwG Oldenburg (Aktenzeichen 1 EG 10/05)

 

Tenor

Die Berufung wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Rechtsanwalt zweier Verstöße gegen seine Berufspflicht durch private Verwendung von ihm treuhänderisch auf dem Notaranderkonto verwalteter Mandantengelder schuldig ist.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Rechtsanwalt.

 

Gründe

I. Das Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Oldenburg hat durch Urteil vom 23.9.2009 gegen den Rechtsanwalt die Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft verhängt. Es hat ihn für schuldig befunden, in der Zeit von April 2001 bis Februar 2008 gegen die Pflichten verstoßen zu haben, die ihm als Rechtsanwalt obliegen (§ 113 BRAO). Dabei sind Gegenstand der Verurteilung insgesamt fünf Komplexe gewesen (Antragsschriften vom 14.7.2005, 1 EG 10/05 [2 Vorwürfe]. vom 4.11.2005, 1 EG 19/05 [5 Vorwürfe]. vom 20.6.2006, 1 EG 5/06 [2 Vorwürfe]. vom 11.12.2008, 1 EG 22/08 [1 Vorwurf]. vom 11.12.2008, 1 EG 23/08 [2 Vorwürfe]). Das Anwaltsgericht hat dabei die Auffassung vertreten, dass das zu ahndende Gesamtverhalten eine einheitliche anwaltliche Verfehlung darstellt.

Gegen das Urteil, das in Anwesenheit des Rechtsanwaltes und seines Verteidigers verkündet worden ist, hat der Rechtsanwalt mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 24.9.2009 Berufung eingelegt, die am selben Tag bei dem Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Oldenburg eingegangen ist.

In der Hauptverhandlung hat der Senat auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft das Verfahren auf die der Anklageschrift 1 EG 23/08 zugrunde liegenden beiden Vorwürfe des Verstoßes gegen berufliche Pflichten durch private Verwendung von ihm treuhänderisch auf dem Notaranderkonto verwalteter Mandantengelder beschränkt und die übrigen Vorwürfe im Hinblick auf die zu erwartende Maßnahme nach § 116 BRAO i.V.m. § 154 Abs. 2 und 1 StPO eingestellt.

II. Zur Person hat der Senat Folgendes festgestellt:

1. Rechtsanwalt V. B. ist 65 Jahre alt. Seine Ehefrau ist pensionierte Lehrerin, die Eheleute haben zwei erwachsene Kinder. Am 24.7.1971 legte der Rechtsanwalt in H. die erste juristische Staatsprüfung und am 6.9.1974 die zweite juristische Staatsprüfung ab. Am 23.10.1974 wurde er zur Rechtsanwaltschaft beim AG und LG P., ab dem 1.7.2002 zudem beim OLG Oldenburg zugelassen. Mit Wirkung vom 23.9.1982 wurde er zum Notar mit Dienstsitz in P. bestellt. Dieses Amt übte er bis zu seiner vorläufigen Enthebung 2004 aus. Bis 1999 war er als Mitglied in einer Gemeinschaftskanzlei, seitdem als Einzelanwalt in eigener Kanzlei tätig. Bis Februar 2010 war ein weiterer Rechtsanwalt im Angestelltenverhältnis für die Kanzlei des Rechtsanwaltes tätig. Vorwiegend ist der Rechtsanwalt mit Mandaten aus dem Zivilrecht, der Vertragsberatung, des Arbeitsrechts, des Transport- und Speditionsrechts und des Strafrechts befasst. Der Akteneingang ist nach Angaben des Rechtsanwaltes nach Neuausrichtung der Kanzlei infolge des Wegfalls des Notariats zunächst von 600 auf 260 pro Jahr zurückgegangen. Auch seien die Einnahmen anfangs eingebrochen, weil das Notariat etwa 80 % dieser mit einem Umsatz von ca. 150.000 200.000 EUR pro Jahr ausgemacht hätte. Eine prognostizierte Gewinnerwartung von 40.000 EUR 2009 habe sich nicht realisiert. Im Jahr will er durchschnittlich 600 EUR pro Mandat bei 120 Mandaten erwirtschaften, was seine Kanzleikosten i.H.v. 4.950 EUR im Monat und auch seine privaten Ausgaben vollständig abdecken soll. Von offenen Honorarrechnungen für geleistete Rechtsanwaltstätigkeit i.H.v. 370.000 EUR hält er 200.000 EUR für realisierbar. Er bezieht zudem Versorgungsleistungen i.H.v. 1.400 EUR monatlich. Zusammen mit seiner Ehefrau ist er Eigentümer eines privaten Wohnhauses mit Einliegerwohnung, dessen Wert der Rechtsanwalt mit 800.000 EUR, den freien Wert mit 550.000 EUR angibt. Aus der Vermietung der Wohnung beziehen die Eheleute zusätzlich 400 EUR Miete. Insgesamt hält der Rechtsanwalt seine wirtschaftlichen Verhältnisse wieder für konsolidiert. Gleichwohl sind noch 2009 vollstreckbare Titel wegen Geldforderungen gegen den Rechtsanwalt erlassen worden. Das AG P. erließ am 29.4.2009 zugunsten der D. GmbH einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss i.H.v. 17.924,36 EUR. Nachdem der Rechtsanwalt zur Abgabe der eidesstattlichen Vers...

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