Leitsatz (amtlich)

1. Kann ein Stromlieferant seinem Abnehmer keinen Strom (mehr) liefern, weil der Netzbetreiber den auf die Durchleitung von Energie gerichteten Vertrag mit dem Stromlieferanten gekündigt hat, so kommt allein dadurch, dass der Abnehmer nunmehr unerkannt Strom des Netzbetreibers abnimmt, noch kein Vertrag zwischen dem (neuen) Stromlieferanten und dem Abnehmer zu Stande. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Abnehmer nicht erkennen konnte, dass der Strom nicht mehr von seinem bisherigen Vertragspartner geliefert wird.

2. § 2 Abs. 2 AVBEltV vermag die vom BGB an einen Vertragsschluss gestellten Voraussetzungen nicht zu ersetzen oder zu ändern. Daran gilt auch dann, wenn der (neue) Stromlieferant gem. § 10 EnWG zur Lieferung von Strom gesetzlich verpflichtet ist.

 

Verfahrensgang

LG Stade (Urteil vom 12.06.2003; Aktenzeichen 3 O 245/02)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 26.01.2005; Aktenzeichen VIII ZR 1/04)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 12.6.2003 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Stade wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das genannte Urteil teilweise abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin ist ein Unternehmen der Energieversorgung, das ein Stromnetz betreibt und dieses auch anderen Energielieferanten zur Verfügung stellt. Soweit sie selbst Strom liefert, geschieht dies auf Basis der Verordnung über die allgemeinen Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden vom 21.6.1979 (AVBEltV). Sie macht gegen die Beklagte Ansprüche nach der Lieferung von Energie zwischen dem 15.11.2001 und dem 31.3.2002 geltend.

Die Beklagte bezog seit dem 1.3.2001 Strom von der Firma … (fortan … genannt). Diese hatte mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin (künftig Klägerin genannt) einen Rahmenvertrag über die Nutzung des von dieser betriebenen Stromnetzes geschlossen, der es ihr ermöglichte, die Beklagte mit Strom zu beliefern. Diesen Rahmenvertrag kündigte die Klägerin mit einem Schreiben, das bei der … am 14.11.2001 einging, fristlos. Ab dem 15.11.2001 kam die Klägerin ihrer Verpflichtung aus § 10 EnWG nach und lieferte der Beklagten Strom, den diese abnahm. Ob, wann und durch wen die Beklagte von dieser Kündigung und der Stromlieferung durch die Klägerin erfuhr, ist streitig. Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der … Ende März 2001 zahlte die Beklagte die Stromkosten weiter an die … .

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, den von ihr gelieferten Strom ab dem 15.11.2001 zu zahlen, zumindest aber ab Kenntnis der Beklagten von der Kündigung ihres Rahmenvertrages mit der …, die sie auf den 28.11.2001 datiert.

Das LG hat der Klage stattgegeben, soweit sie Forderungen der Klägerin aus der Lieferung von Energie ab dem 1.1.2002 betrifft. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt habe die Beklagte Kenntnis davon gehabt, dass das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und der Firma … notleidend geworden war, wie die Aussage des Zeugen S. ergeben habe. Ab dieser Kenntnis habe die Beklagte das in der Stromlieferung liegende Angebot der Klägerin durch Abnahme des Stromes angenommen. Zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits sei an diesem Tag ein faktischer Vertrag zu Stande gekommen. Im Übrigen sei die Klage unbegründet.

Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit ihren Berufungen. Die Klägerin verfolgt ihren erstinstanzlichen Antrag weiter, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Die Beklagte ist der Auffassung, die Klage sei insgesamt unbegründet.

Die Klägerin vertritt nach wie vor die Auffassung, zwischen den Parteien sei bereits am 15.11.2001 ein Vertrag über die Lieferung von Energie zustande gekommen. Sie verweist auf § 2 Abs. 2 AVBEltV. Es gälten die Grundsätze der „Lehre vom sozialtypischen Verhalten”. Danach komme es auf den konkreten individuellen Willen bei der Abnahme von Strom nicht an, sondern nur auf die willentliche Entnahme der Energie. Hilfsweise macht sie sich die Auffassung des LG zu eigen und meint, jedenfalls seit Kenntnis der Beklagten von der Kündigung des Vertrages zwischen ihr – der Klägerin – und der … bestehe ein auf die Lieferung von Strom gerichteter Vertrag zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits. Über diese Kenntnis verfüge die Beklagte seit dem 28.11.2001.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil des LG Stade abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 2.288,76 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.8.2002 zu zahlen, sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil de...

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