Leitsatz (amtlich)

1. Das Insolvenzgericht am registermäßigen Sitz der Gesellschaft, an dem die GmbH auch ihre letzte werbende Tätigkeit ausgeübt hat, und nicht das Gericht am Sitz des neu bestellten Geschäftsführers, zu dem angeblich die Geschäftsunterlagen der Gesellschaft verbracht worden sind, ist für die Durchführung des Insolvenzantragsverfahrens zuständig, wenn handgreifliche Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Zuständigkeitserschleichung bestehen.

2. Ein Verweisungsbeschluss, der durch Täuschung des Insolvenzgerichts über die wahren Absichten des Antragstellers zustande gekommen ist, kann nicht als bindend i.S.d. § 281 ZPO angesehen werden.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Charlottenburg (Beschluss vom 04.11.2003; Aktenzeichen 107 IN 5762/03)

AG Gifhorn (Aktenzeichen 35 IN 337/03)

 

Tenor

Das AG Gifhorn – Insolvenzgericht – wird als zuständiges Gericht bestellt.

 

Gründe

Schuldnerin des Insolvenzverfahrens ist eine im Handelsregister von Gifhorn unter der HRB … eingetragene GmbH, die ihre Geschäftsanteile am 8.9.2003 an den neu bestellten Geschäftsführer L.J. veräußert hat, der am 13.10.2003 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt hat. In diesem am 20.10.2003 beim AG Gifhorn eingegangenen Antrag hat der Geschäftsführer mitgeteilt, dass er das Gewerbe bei der zuständigen Behörde in E. abgemeldet, die Geschäftsräume aufgegeben und den Geschäftsbetrieb eingestellt habe. Sämtliche Geschäftsunterlagen seien zu seinem Geschäftssitz nach Berlin verbracht worden. Im Hinblick darauf, dass in Berlin von einer durch ihn beauftragten Wirtschaftsberatungsgesellschaft noch aktive Abwicklungstätigkeiten ausgeübt würden, beantrage er, das Insolvenzverfahren an das für seinen Geschäftssitz zuständige AG Berlin-Charlottenburg zu verweisen.

Als Abwicklungstätigkeiten seien u.a. noch ausgeführt worden Umsatzsteuervoranmeldungen für das 4. Quartal 2001, die Erledigung der allgemeinen Korrespondenz mit dem Finanzamt P., die Übernahme von Geschäftsunterlagen sowie die Mitarbeit bei Prüfungen, die Korrespondenz mit Gerichten und Handwerkskammern und die Erstellung von umfangreichen Aufstellungen für das Gericht – derartige Aufstellungen hat der Antragsteller dem Insolvenzantrag, der lediglich aus zwei Blättern besteht, allerdings nicht beigefügt. Das Verfahren müsse deshalb an das für den Sitz des neuen Geschäftsführers der Schuldnerin zuständige AG Berlin-Charlottenburg verwiesen werden.

Kurze Zeit nach Eingang dieses Antrags hat das AG Gifhorn am 27.10.2003 das Verfahren ohne weitere Prüfung an das AG Berlin-Charlottenburg verwiesen, weil dieses gem. § 3 Abs. 1 S. 2 InsO örtlich zuständig sei.

Das AG Charlottenburg wiederum hat mit Beschluss vom 4.11.2003 seine Zuständigkeit verneint und in den Gründen dieser Entscheidung ausgeführt, es sei örtlich unzuständig, weil die Schuldnerin ihren Sitz weiter im Bezirk des AG Gifhorn habe. Da die Schuldnerin ihre werbende Tätigkeit eingestellt habe, sei ein Gerichtsstand gem. § 3 Abs. 1 S. 2 InsO für das Insolvenzverfahren nicht mehr begründet. Allein die Bestellung eines neuen Geschäftsführers mit dem Aufgabenkreis der Durchführung und Abwicklung eines Insolvenzverfahrens begründe keine Zuständigkeit am Sitz des Geschäftsführers. Dessen Wohnsitz sei nicht maßgeblich, wenn die GmbH ihren Geschäftsbetrieb eingestellt habe. Aufgrund der pauschalen Behauptung, dass in Berlin noch Abwicklungsmaßnahmen durchgeführt werden würden, könne ebenfalls keine örtliche Zuständigkeit angenommen werden. Unter der von dem neuen Geschäftsführer angegebenen Anschrift in Berlin befinde sich weder der Geschäftssitz der Schuldnerin noch der Wohnsitz des Geschäftsführers. Es handele sich vielmehr um die Anschrift einer S. GmbH, bezüglich derer aus diversen beim AG Berlin-Charlottenburg anhängigen Verfahren bekannt sei, dass diese Gesellschaft regelmäßig in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung damit werbe, bei der Lösung von Insolvenzproblemen behilflich zu sein und innerhalb von 24 Stunden durch Übernahme des Unternehmens sowie Abberufung und Entlastung des Geschäftsführers zu helfen. Eine Mitwirkung der S. GmbH in der von dieser „betreuten” Insolvenzverfahren sei regelmäßig nicht zu erreichen. Konkret sei zu einer aktiven werbenden Tätigkeit des Geschäftsführers in Berlin nichts vorgetragen. Infolge dieser Umstände bestehe die Gefahr, dass aufgrund der fehlenden Durchführung des Insolvenzverfahrens am Ort der Registereintragung die Aufklärung von Vermögensverschiebungen erschwert werde und den Gläubigern Vermögen der GmbH entzogen werde.

Der Verweisungsbeschluss des AG Gifhorn sei für das AG Berlin-Charlottenburg nicht bindend, weil der neue Geschäftsführer die Zuständigkeit des AG Berlin-Charlottenburg missbräuchlich erschlichen habe. Das AG Berlin-Charlottenburg lehne deshalb seine Zuständigkeit ab und lege das Verfahren dem OLG Celle zur Bestimmung der Zuständigkeit des Insolvenzgerichts vor.

Der Geschäftsführer der Schuldnerin hat in seiner Stellungnahme zu dem V...

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