Leitsatz (amtlich)

Ist ein Rechtsstreit einem der in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO genannten Sachgebiete zuzuordnen und besteht nach dem Geschäftsverteilungsplan für diesen Rechtsstreit eine Spezialzuständigkeit der Zivilkammer, scheidet eine originäre Zuständigkeit des Einzelrichter auch dann aus, wenn der Kammer die Zuständigkeit für das jeweilige Sachgebiet nicht vollständig übertragen worden ist.

 

Normenkette

ZPO § 348

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Aktenzeichen 1 O 118/06)

LG Hannover (Aktenzeichen 32 O 44/06)

 

Tenor

Das LG - 1. Zivilkammer - Hannover ist zunächst zuständig.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

 

Gründe

Über den negativen Kompetenzkonflikt zwischen der 1. Zivilkammer und der 7. Kammer für Handelssachen - des LG Hannover ist auf den Vorlagebeschluss der 7. Kammer für Handelssachen vom 25.9.2006 in analoger Anwendung der §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, 37 ZPO durch den Senat als das nächsthöhere Gericht zu entscheiden, nachdem sich beide Spruchkörper zuvor rechtskräftig (§ 102 Satz 1 GVG) mit den Beschlüssen vom 31.7. und 25.9.2006 für (funktionell) unzuständig erklärt haben (vgl. OLG Celle v. 15.1.2004 - 4 AR 4/04, OLGReport Celle, 2004, 370; OLG Stuttgart v. 8.8.2002 - 1 W 28/02, OLGReport Stuttgart 2002, 455; OLG Düsseldorf v. 12.2.2001 - 19 Sa 5/01, NJW-RR 2001, 1220; OLG Braunschweig v. 28.3.1995 - 1 W 5/95, OLGReport Braunschweig 1995, 154 = NJW-RR 1995, 1535; BGH - obiter dictum - v. 5.10.1999 - X ARZ 247/99, MDR 2000, 536 = NJW 2000, 80 [81]).

Die 1. Zivilkammer des LG Hannover ist zuständig, weil der Verweisungsbeschluss ihrer Einzelrichterin vom 31.7.2006 entgegen § 102 Satz 2 GVG ausnahmsweise für die Kammer für Handelssachen nicht als bindend anzusehen ist.

Ein Verweisungsbeschluss kann nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH v. 10.6.2003 - X ARZ 92/03, BGHReport 2003, 1305 = NJW 2003, 3201) dann nicht als verbindlich hingenommen werden, wenn er auf Willkür beruht. Hierfür genügt es allerdings nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt (vgl. BGH v. 9.7.2002 - X ARZ 110/02, BGHReport 2002, 946 = MDR 2002, 1450 = NJW-RR 2002, 1498). Dies ist auch dann der Fall, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 29, 45 [49]; BGH v. 9.11.1995 - I ZB 29/93, MDR 1996, 1032). Darüber hinaus muss die Bindung im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dann zurücktreten, wenn sie zu einer willkürlichen Ausschaltung des gesetzlichen Richters führen würde, die auf Rechtsmittel zur Aufhebung der Entscheidung führen müsste (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 102 Rz. 6, m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Allerdings ist die Auffassung der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des LG Hannover, die ausschließliche Zuständigkeit des LG Hannover und innerhalb des LG der Kammer für Handelssachen sei in analoger Anwendung von § 246 Abs. 3 Satz 1 und 2 AktG gegeben, nicht als objektiv willkürlich anzusehen. Zwar fehlt es an einem rechtzeitigen Verweisungsantrag des Klägers gem. § 96 GVG. Die Einzelrichterin der 1. Zivilkammer hat indes den Verweisungsbeschluss auch nicht mit dem Charakter des Rechtsstreits als Handelssache gem. § 95 Abs. 4 a GVG begründet, sondern auf die entsprechende Anwendung einer nach seiner Auffassung einschlägigen Spezialnorm verwiesen, die in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich für aktienrechtliche Anfechtungsklagen eine von Anträgen der Parteien unabhängige ausschließliche sachliche Zuständigkeit des LG und zugleich eine ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen (soweit bei dem LG vorhanden) begründet. Diese Auffassung wird immerhin auf die in einem weit verbreiteten Kommentar zum GmbH-Gesetz (vgl. Baumbach/Hueck-Zöllner, GmbHG, 6. Aufl. 2006, Anh. zu § 47 Rz. 168) vertretene Ansicht gestützt, nach der für gesellschaftsrechtliche Anfechtungsklagen bei der GmbH die ausschließliche (sachliche) Zuständigkeit des LG in analoger Anwendung von § 246 Abs. 3 Satz 1 AktG bestehen und innerhalb des Gerichts gem. § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG die Kammer für Handelssachen (funktionell) zuständig sein soll. Die Vorsitzende der Kammer für Handelssachen geht selbst davon aus, dass für gesellschaftsrechtliche Anfechtungsklagen bezüglich einer GmbH § 246 AktG analog anzuwenden sei. Ob ihre Auffassung zutrifft, dass durch die entsprechende Anwendung von Gesetzesnormen eine ausschließliche Zuständigkeit nicht begründet werden kann, muss der Senat nicht abschließend entscheiden. Die unter Hinweis auf das Literaturzitat näher begründete abweichende Auffassung der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer würde nämlich auch dann insoweit allenfalls auf einem einfachen Rechtsanwendungsfehler beruhen. Objektive Willkür erfordert indes eine offensichtlich unhaltbare Beurteilung.

Der Verweisungsbeschluss vom 31.7...

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