Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Haftung eines Durchgangsarztes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Durchgangsarzt haftet für Fehler bei der Eingangsuntersuchung, Erstversorgung und der von ihm übernommenen weiteren Behandlung des Patienten im Rahmen der besonderen Heilbehandlung persönlich aus Vertragspflichtverletzung bzw. aus Delikt (offen gelassen von BGH NJW 2009, 993).

2. Das gilt auch dann, wenn sich im Rahmen der weiteren (besonderen) Heilbehandlung lediglich der ursprüngliche Fehler der mangelhaften Diagnose fortsetzt (abweichend von OLG Schleswig NJW-RR 2008, 41 und in Ergänzung zu OLG Bremen GesR 2009, 500).

3. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Durchgangsarzt bei einem von den Berufgenossenschaften getragenen Verein angestellt ist und die Behandlung in einer Einrichtung der Berufsgenossenschaft erfolgt (offen gelassen von BGH NJW 1975, 589).

 

Normenkette

BGB § 253 Abs. 2, § 280 Abs. 1, §§ 823, 839; GG Art. 34

 

Gründe

1. Im Hinblick auf die Erörterung der Sach- und Rechtslage im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 11.9.2009 sowie die nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom 21. und 30.9.2009 weist der Senat auf folgende rechtliche Gesichtspunkte hin.

a)(1) Der Kläger nimmt den Beklagten zu 2) als Durchgangsarzt der Berufsgenossenschaft nach einem Arbeitsunfall auf Schadensersatz mit der Begründung in Anspruch, der Beklagte zu 2) habe bei der Eingangsuntersuchung, -diagnose und Erstbehandlung eines festgestellten Unterarmbruches eine Knochenabsplitterung im Handgelenk und einen Bänderriss im Unterarm übersehen. Jedenfalls hätte der Beklagte zu 2) diese weiteren Verletzungen später im Rahmen der von ihm ebenfalls übernommenen besonderen Heilbehandlung erkennen müssen. Der Beklagten zu 1) ist ein Verein, bei dem der Beklagte zu 2) angestellt ist und dessen Mitglieder verschiedene Berufsgenossenschaften und gemeindliche Unfallversicherer sind.

Das LG hat die Klage gegen die Beklagten abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagte zu 2) im Rahmen der besonderen Heilbehandlung als Durchgangsarzt öffentlich- rechtlich tätig geworden sei und daher gem. Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB nicht persönlich hafte.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten zu 2) weiter; hinsichtlich des Beklagten zu 1) hat er seine Berufung zurückgenommen.

(2.) Entgegen der Auffassung des LG scheitert die persönliche Haftung des Beklagten zu 2) nicht bereits gem. Art. 34 GG, § 839 BGB an seiner Stellung als Durchgangsarzt.

Eine Haftung des Beklagten zu 2) wegen Verletzung vertraglicher Pflichten im Verhältnis zum Kläger sowie aus Delikt kommt ungeachtet seiner Stellung als Durchgangsarzt vielmehr sowohl für etwaige Fehler bei der Eingangsuntersuchung bzw. -diagnose sowie bei der Erstversorgung des Klägers am 23.3.2004 in Betracht als auch wegen etwaiger Behandlungsfehler im weiteren Verlauf der vom Beklagten zu 2) wahrgenommenen besonderen Heilbehandlung des Klägers.

(aa) In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BGH geht der Senat davon aus, dass sich die Pflichten des Durchgangsarztes bei der Ausübung seines öffentlichen Amtes mit denen aus einem privatrechtlichen ärztlichen Behandlungsvertrag mit dem Patienten überschneiden können (vgl. BGH NJW 1975, 589 (592): "doppelte Zielrichtung"; Beschluss des BGH vom 4.3.2008 - VI ZR 101/07 sowie BGHZ 179, 115 = NJW 2009, 993). Dies gilt bereits für die Erstversorgung (OLG Hamm, Beschluss vom 14.6.2004, OLGR 2004, 269), zu der nach Auffassung des Senates auch die Eingangsuntersuchung zählt (so BGH NJW 1975, 589 (592), vgl. ferner BGH NJW 2009, 993 sub 3. a.E.: "möglicherweise"; wie hier OLG Hamm, Beschl. v. 24.10.2007 - 3 W 50/07, unveröffentlicht).

Die Zäsur zwischen den beiden Pflichtenkreisen des Durchgangsarztes, die nach der Rechtsprechung des BGH bei der Entscheidung über das "Ob" und "Wie" der zu gewährenden Heilbehandlung erfolgt (vgl. bereits BGH BGHZ 126, 297 = NJW 1994, 2417), ist nämlich inhaltlich zu verstehen, nicht zeitlich (vgl. insb. BGH, Beschl. v. 4.3.2008 - VI ZR 101/07). Ist damit eine privatrechtliche Vertragspflichtverletzung und somit eine persönliche Haftung des Durchgangsarztes bei Fehlern bereits bei der ärztlichen Erstversorgung bzw. der Eingangsdiagnose ohne weiteres möglich, so stehen seiner persönlichen Inanspruchnahme insbesondere nicht die Regelungen gem. Art. 34 GG, § 839 BGB entgegen.

(bb) Erst recht kommt die persönliche Haftung in Betracht, wenn der Durchgangsarzt auch die weitere Behandlung des Patienten "in die eigenen Hände nimmt" und die Heilhandlung selbst durchführt (BGH, NJW 1994, 297). Die eigene Verantwortlichkeit des Arztes ergibt sich schon daraus, dass er mit der Übernahme dieser Aufgabe keine der Berufsgenossenschaft obliegende Pflicht wahrnimmt (BGH, NJW 1975, 589 und NJW 2009, 993). Diese hat lediglich alle Maßnahmen zu treffen, durch die eine möglichst frühzeitig nach dem Versicherungsfall einsetzende und sachgemäße Heilbehandlung gewährleistet wird (BGH, a.a.O.). Hierzu b...

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