Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindesunterhalt: Nebentätigkeit. Minderjährigenunterhalt: Obliegenheit zur ergänzenden Nebentätigkeit eines vollschichtigen Unterhaltsschuldners bei Unterstützung von zwei bei ihm lebender volljähriger Kinder

 

Leitsatz (amtlich)

Von einem vollschichtig erwerbstätigen Unterhaltsschuldner, der einem minderjährigen Kind barunterhaltspflichtig ist, kann die Aufnahme einer Nebentätigkeit nicht erwartet werden, wenn er mit zwei volljährigen Kindern alleine lebt, die seiner Unterstützung bedürfen.

 

Normenkette

BGB § § 1603 ff., § 1603 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Bremerhaven (Beschluss vom 14.08.2009; Aktenzeichen 154 F 8/09)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Prozesskostenhilfebeschluss des AG - Familiengericht - Bremerhaven vom 14.8.2009 wie folgt abgeändert:

I. Dem Beklagten wird insoweit ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt als er sich gegen die Inanspruchnahme auf Zahlung eines monatlichen Unterhalts über 32 EUR hinaus wendet.

II. Dem Beklagten wird Rechtsanwalt L. beigeordnet mit der Maßgabe, dass Reisekosten nur bis zur Höhe der Kosten abgerechnet werden können, die durch Einschaltung eines Korrespondenzanwalts entstünden.

II. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

III. Die Gerichtsgebühr gem. Anlage 1 Ziff. 1812 zu § 3 Abs. 2 GKG für das Beschwerdeverfahren wird nicht erhoben.

 

Gründe

Die gem. §§ 127 II S. 2, 567 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Beklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I. Das AG hat dem Beklagten wegen unzureichender Erwerbsbemühungen zu Recht ein fiktives Einkommen aus einer Vollzeittätigkeit zugerechnet, was der Beklagte mit seiner Beschwerde ersichtlich auch nicht angreift. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist es nicht zu beanstanden, dass das AG das erzielbare Einkommen aus einer Vollzeittätigkeit auf der Basis eines Stundensatzes von 8,15 EUR ermittelt hat. Obgleich der Beklagte über keine in Deutschland anerkannte abgeschlossene Berufsausbildung verfügt und die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht, greifen die von ihm geltend gemachten fehlenden Beschäftigungschancen zu dem vom AG in Ansatz gebrachten Stundenlohn nicht durch. Dabei verkennt der Senat nicht, dass eine nicht unbeträchtliche Zahl ungelernter Arbeitskräfte weniger als 8,15 EUR, zum Teil auch nur 7 EUR brutto die Stunde oder gar noch weniger verdienen unabhängig davon, ob sie Sprachprobleme haben, vor ihrer Anstellung über einen langen Zeitraum beschäftigungslos waren oder - wie der Beklagte - schwarzafrikanischer Herkunft sind. Der Senat hat im Rahmen von Unterhaltsverfahren - auch aus jüngster Vergangenheit - aber wiederholt mit Unterhaltsschuldnern zu tun gehabt, die trotz ungünstiger Voraussetzungen als Produktionshelfer, Hafenarbeiter, Gebäudereiniger usw. einen Stundenlohn von 8,15 EUR und mehr verdient haben. Die Chance eine Arbeitsstelle mit einem entsprechenden Einkommen zu finden, ist daher nicht nur theoretischer Art, was im Übrigen schon der Umstand zeigt, dass es dem Beklagten in der Vergangenheit gelungen war, eine Anstellung als Reinigungskraft mit einem Stundenlohn von 8,15 EUR zu finden. Auch wenn eine sichere Einschätzung des erzielbaren Einkommens durch den Beklagten nicht möglich ist, gehen etwaige Zweifel hinsichtlich einer fehlenden realen Beschäftigungschance zu dem vom AG in Ansatz gebrachten Stundenlohn zu Lasten des Beklagten (vgl. BGH FamRZ 2008, 2104 [2106]; Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl., § 1 Rz. 529), der für seine fehlende bzw. unzureichende Leistungsfähigkeit die Beweislast trägt. Solange der Beklagte nicht nachweist, dass er trotz nachhaltiger und intensiver Erwerbsbemühungen keine Tätigkeit gefunden hat, die mit einem geringeren Stundenlohn als 8,15 EUR vergütet wird, muss er sich den vom AG in Ansatz gebrachten Stundenlohn für eine Vollzeittätigkeit fiktiv zurechnen lassen. Bei einem Bruttostundenlohn von 8,15 EUR und einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden beträgt das vom Beklagten zu erzielende Bruttoeinkommen (8,15 EUR x 40 Std. x 4,33 Wochen =) 1.411,58 EUR, was einem Nettoeinkommen von ca. 1.026 EUR entspricht (s. Anlage). Nach Abzug der vom AG in Ansatz gebrachten Fahrtkosten von 50 EUR verbleiben 976 EUR, die sich der Beklagte fiktiv zurechnen lassen muss.

II. Ein zusätzliches Einkommen aus einer Nebentätigkeit muss sich der Beklagte entgegen der Annahme des AG allerdings nicht fiktiv zurechnen lassen. Denn die Obliegenheit zur Aufnahme einer Nebentätigkeit kann nur angenommen werden, wenn und soweit die Aufnahme einer weiteren Erwerbstätigkeit dem Unterhaltspflichtigen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zumutbar ist und ihn nicht unverhältnismäßig belastet (BVerfG FamRZ 2003, 661 f.; s. auch BGH, FamRZ 2009, 314, 316 und FamRZ 2009, 872, 874). Dies ist hier aufgrund der besonderen Lebenssituation des Beklagten nicht der Fall. Der Beklagte ist allein erziehender Vater. In seinem Haushalt leben seine Tochter T. und...

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